Es ist schon ein merkwürdiger Titel, den der österreichische Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning ("Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein", 2019) da für seinen neuen Fernsehfilm ausgewählt hat: "Tiefwassertaucher unterm Dach" beschreibt jedoch recht gut die Situation, in der sich Annie Breuer (Martina Ebm, "Vorstadtweiber") befindet. Die alleinerziehende Mutter lebt gemeinsam mit ihren Kindern Tino (Leopold Pallua) und Lena (Ariana Stöckle) im obersten Stock eines Wiener Vorstadt-Mietshauses. Es scheint, als führten die drei ein zufriedenes Leben mit gemeinsamen Pizza-Abenden auf dem Dach. Doch dieser erste Eindruck trügt, denn Annie leidet an einem organischen Psychosyndrom.
Immer wieder plagen sie Halluzinationen, im Film eindrucksvoll durch laute Geräusche und verzerrte, grelle Bilder dargestellt. Der Alltag der gesamten Familie wird zunehmend zur Qual, etwa, wenn die Mutter morgens wie angewurzelt vor der geöffneten Kühlschranktür steht, unfähig sich zu bewegen oder auch nur auf äußere Reize zu reagieren. "Frau Breuer, Sie stehen ganz offensichtlich unter großem Stress", mahnt ihre Therapeutin (Neda Rahmanian). Sie möchte sie in eine Klinik einweisen, doch das kommt für die Alleinerziehende nicht infrage. Denn ausgerechnet jetzt möchte Lenas Vater Richard Tomek (exzellent: Hanno Koffler) nach Jahren des Desinteresses plötzlich Kontakt zu seiner kleinen Tochter. Dafür schaltet er sogar das Jugendamt ein ...
Ein Film mit manchen Klischees
"Tiefwassertaucher unterm Dach" ist kein makelloser Film: Vor allem die Darstellung der übrigen Bewohnerinnen und Bewohner des Mietshauses gerät leider recht klischeehaft. Da ist der grantelnde Boomer Gustav Fiala (Rainer Egger), der sich – wenn auch nicht unbegründet – in einem fort über den Lärm im Treppenhaus beschwert, dann ist da die chaotische Studenten-WG, in der drei von vier Bewohnern natürlich drogenabhängig sind. Nicht zu vergessen Jasmin Janosch (Olivia Goschler), Tinos "ODA" ("Objekt der Anziehung"), die natürlich blond und alles andere als feingeistig veranlagt ist.
Auch fragt man sich unweigerlich, wie es eigentlich sein kann, dass die fortschreitenden psychischen Probleme von Annie nicht schon früher das Jugendamt auf den Plan gerufen haben. Immerhin besuchen beide noch die Schule.
Ein Appell an die Gemeinschaft
Andererseits ist es vielleicht aber auch genau diese Frage, die Rupert Henning mit seinem Film, der bereits Anfang Oktober im ORF Premiere feierte, stellen möchte: Wie kann es sein, dass hilfsbedürftige Menschen oder Familien von der Gesellschaft so oft übersehen werden?
Vor diesem Hintergrund stiftet "Tiefwassertaucher unterm Dach" letztlich auch ein Stück weit Hoffnung in unserer zunehmend egoistischen Gesellschaft: Hoffnung, dass es irgendwo doch noch Orte, wie das im Film gezeigte Mietshaus gibt, an denen es selbstverständlich ist, einander zu unterstützen. Gemäß dem alten afrikanischen Sprichwort "Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf" – oder einfach ein Wiener Vorstadt-Mietshaus.
Tiefwassertaucher unterm Dach – Mi. 19.11. – ARD: 20.15 Uhr