Es müssen nicht immer Löwen, Elefanten oder Nashörner sein. Beim weltweit wohl wichtigsten Wettbewerb für Naturfotografie setzen sich oft auf den ersten Blick unscheinbare Tiere durch: ein Murmeltier zum Beispiel im Jahr 2019. Ein Trupp Bienen, drei Jahre später. Und diesmal: Kaulquappen. Der kanadische Fotograf Shane Gross hat den Krötennachwuchs in einem Bergsee abgelichtet, für seine Aufnahme erhielt er die Auszeichnung "Wildlife Photographer of the Year".
Diese internationale Leistungsshow prämiert Bilder seit jeher nicht nur für ihre Exotik. Auch technische Raffinesse allein überzeugt die Jury nicht, genauso wenig wie die reine Ästhetik einer Aufnahme. Stattdessen müssen die Fotos einen besonderen Moment einfangen oder eine Geschichte erzählen, um zu überzeugen. Shane Gross etwa zeigt, welches Schauspiel sich unter einem Blätterdach aus Seerosen verbergen kann: In einem See auf Vancouver Island schwärmen im Sommer Millionen Kaulquappen der Westlichen Kröte. Jeden Nachmittag steigen sie auf, um an der Wasseroberfläche kleine Algen zu fressen, und bilden dabei Verkehrsströme, die an die Rushhour in unseren Städten erinnern.
"Es ist großartig, einen Ort zu erleben, der noch so unberührt und voller Leben ist", sagt Gross. Den Namen des Sees aber halten er und seine Kollegen geheim, um die Vielfalt dort zu schützen. Denn in weiten Teilen Nordamerikas sinken die Bestände der Krötenart.
Auch darum geht es der Jury des "Wildlife Photographer of the Year": Nicht nur die Schönheit der Natur zu zeigen, sondern auch die Gefahren ihrer Zerstörung ins Bewusstsein zu rufen. Unter den Siegerfotos finden sich deshalb stets auch berührende Szenen oder Aufnahmen, die schockieren. Etwa von Haien, die zappelnd um ihr Leben kämpfen, weil sie als Beifang an Bord von Fischtrawlern gezogen werden. Oder von Affen, die resigniert auf ihren nächsten Auftritt in einem Vergnügungspark warten. Fotos bergen die Kraft, etwas zu bewegen, sagt die Vorsitzende der Jury, Bildredakteurin Kathy Moran aus den USA: Weltweit hätten Aufnahmen von den Wundern der Natur zum Beispiel dabei geholfen, Nationalparks zu gründen oder strengere Richtlinien zum Umwelt- und Klimaschutz zu erlassen. Auch solche Erfolgsgeschichten dokumentieren die ausgewählten Bilder: Sie zeigen Arten, die vor dem Aussterben gerettet wurden, Polizeibeamte mit neuen Hilfsmitteln im Kampf gegen Wilderei und intakt erhaltene Biotope.
Die Kraft der Fotografie: Bilder von Wundern der Natur halfen, Nationalparks zu gründen
Der Wettbewerb richtet sich an Profis und Amateure gleichermaßen. Zudem können Kinder und Jugendliche um den "Young Wildlife Photographer of the Year Award" wetteifern. In diesem Jahr reichten Fotografinnen und Fotografen aus 117 Ländern ihre Werke ein, insgesamt mehr als 59.000 Bilder. Aus ihnen wählt die Jury die 100 besten aus.
Dabei gelten strenge Richtlinien: Die Tiere dürfen nicht mit Beute gelockt oder aufgeschreckt werden, nur damit ein Motiv spannungsgeladener wirkt. Fachleute überprüfen die Fotos auch technisch, denn die Bilder dürfen digital nur minimal bearbeitet werden. Pflanzenteile, die ins Motiv ragen, Luftblasen und Schmutz auf Unterwasseraufnahmen dürfen nicht entfernt werden.
Für sein Kaulquappenbild folgte Shane Gross deshalb Pfaden, die Biber im Seerosenwald hinterlassen haben. So wirbelte er beim Schnorcheln weniger Sediment auf, das die Sicht beeinträchtigt hätte. Mehrere Stunden verbrachte der Kanadier im kalten Wasser, bis er schließlich den perfekten Moment erwischte für sein Siegerfoto.
Bereits zum 60. Mal wird der Preis in diesem Jahr verliehen, die Zeremonie findet im Londoner Natural-History-Museum statt. Anschließend gehen die 100 besten Bilder des Wettbewerbs auf Welttournee. Zwei Millionen Menschen besuchen diese Ausstellungen.
Von diesem Erfolg war noch nichts zu ahnen, als das britische "Animals Magazine" (später "BBC Wildlife") erstmals einen Sieger kürte: Nur 361 Fotos trafen 1965 bei der Jury ein. Und auch damals gewann das Bild eines eher unscheinbaren Tieres: Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt einen Waldkauz.
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