Afghanistan Taliban setzen "Nachtruhe" für Handys durch

Von Christoph Reuter, Kabul
So still war es seit Jahren nicht mehr in Kunduz: Pünktlich gegen 18 Uhr erlischt dieser Tage jedes Handy-Bimmeln. Denn die Taliban haben den Mobiltelefonierern eine Nachtruhe verordnet.

Es ist jeden Abend das Gleiche. Ab 18 Uhr nimmt schlagartig das allgegenwärtige Handy-Gebrabbel in den Cafes und Straßen ab, es schrillen keine Bollywood-Schnulzen und jauchzende Knaben mehr aus den Mobiltelefonen und auch das Metallscheppern oder andere Klingeltöne sind bis morgens um 6 Uhr aus der Stadt verschwunden. Kunduz ist abgeklemmt, denn alle Mobiltelefongesellschaften stellen in dieser Zeit ihre Netze ab. Der Grund: Die Taliban haben vor einem Monat diesen Telefonbann für alle Bezirke der Provinz Kunduz und auch noch die benachbarte Südprovinz Baghlan verhängt. Alle halten sich dran, Roshan, Itisalat, MTN, Afghan Wireless, nichts geht von sechs bis sechs. Selbst im Bundeswehrlager auf dem Hügel vor der Stadt sagen die Soldaten mit Außenkontakten nur achselzuckend, dass ihre Abend ruhiger geworden seien. Keine Anrufe mehr.

Argument der gesprengten Übertragungsmasten

Zwischendurch verständigt sich Kunduz wieder wie zu Talibanzeiten. Man kommt einfach vorbei, schwingt sich auf den Esel oder das Motorrad, pinnt Zettel an Türen oder richtet Abdullah aus, dass er Hafizullah bitte ausrichten möge, Mohammed anzurufen. Oder umgekehrt.

Es reichte seitens der Taliban, ein paar deutliche Drohungen (per Telefon) auszusprechen und zur Bekräftigung einige Übertragungsmasten zu sprengen oder die Dieselgeneratoren am Fuß der Masten zu zerstören. Dass dies genügte, einige der immerhin größten legalen Unternehmen des Landes zum Einknicken zu bewegen, sagt einiges aus über die Machtverhältnisse in Kunduz. Mitten im Krieg, während am Samstag schon wieder deutsche Soldaten angegriffen wurden, während mehrere tausend US-Truppen nach Nordafghanistan einrücken und im Westen immer noch davon gesprochen wird, militärisch die Oberhand zu behalten, verlangen die Taliban eine Abschaltung aller Netze - und setzen sich durch.

Ganz neues Geschäftsfeld

Hintergrund dieser Schweigeattacke sind die sprunghaft angestiegenen Festnahmen lokaler Talibankommandeure durch US-Truppen und mit ihnen verbündeter afghanischer Einheiten und Milizen. Mit der fernmündlichen Zwangspause wollen die Taliban verhindern, dass Spitzel nachts ihre Aufenthaltsorte verraten - so, wie sie dies schon seit Jahren in den umkämpften Südprovinzen wie Wardak oder Ghazni tun. Ob die Abschaltung aller Netze letztlich Beleg ihrer Stärke oder Schwäche ist, bleibt fraglich.

Was Mitte April als Operation der Taliban begann, hat mittlerweile die schillerndsten Trittbrettfahrer und Verschwörungstheoretiker auf den Plan gerufen. Da der Krieg in Afghanistan mindestens so sehr Business ist wie Kampf, haben die ersten Masten-Sprengungen ein ganz neues Geschäftsfeld geschaffen: Die Besitzer der kleinen Landflecken, auf denen die Sendemasten stehen, erhielten bislang eine minimale Pacht von den Netzanbietern. Aber nun ist die Lage ja eine ganz andere geworden! "Jetzt verlangen viele eine Sonderprämie wegen der Gefahr für ihr Grundstück", beklagt ein Roshan-Angestellter, der seinen Namen lieber nicht nennen möchte: "Oder sie wollen Schutzgebühr dafür haben, dass sie jetzt besonders auf die Masten aufpassen. Außerdem wissen wir schon gar nicht mehr, wie viele Drohanrufe wirklich von den Taliban kommen - und wie viele von Grundstücksbesitzern, die nur die Pachtzuschläge erhöhen wollen. Und was die Urheberschaft der Sperre angeht: Selbst da haben sich die Gerüchte verselbständigt: "Da stecken doch bestimmt nur die Amerikaner dahinter!", maulen zwei Männer auf dem Bazar in der Innenstadt von Kunduz: "Die gönnen uns nicht mal das telefonieren!"