Hirnforschung Die Suche nach der Seele

Der Mensch dringt in die Weiten des Alls vor und in die Tiefen der Meere - doch das größte Rätsel ist er immer noch sich selbst.

Jeder Affe kann das

Es sehnt sich nach den Sternen oder einem saftigen Sauerbraten. Es flachst und flirtet, liebt und leidet, knackt Gleichungen und Geldschränke, ersinnt Symphonien und Schlachtpläne und steuert ganz nebenbei noch Herzschlag und Hormonpegel. Sogar - und das ist wirklich schwer! - eine Katze von einem Hund unterscheiden kann unser Gehirn spielend. Selbst Spitzencomputer würde diese Aufgabe in die Verzweiflung treiben, hätten sie nur eine Ahnung, was Verzweiflung ist. Beim Schach gewinnt statt unserer cleveren drei Pfund Nervengewebe im Kopf inzwischen auch schon mal ein elektronisches Gehirn. Aber kann die Blechbirne den Triumph auskosten? Oder auf Rache sinnen, wenn sie beim nächsten Mal wieder verliert, weil ihre blitzblanken Siliziumchips nicht hören, was der Bauch sagt? Jeder Affe kann das.

Ein- bis zweihundert Milliarden Nervenzellen, jede mit bis zu zehntausend anderen verbunden, bilden in unseren Köpfen ein fühlendes und denkendes Dickicht ohne Beispiel in der Natur, überlegen allem, was es bislang an Technik ersonnen hat. Was der fehlt, sind die Geistesblitze ihrer Schöpfer - und deren »Seele«.

Natur oder Erziehung? Lange war das die entscheidende Frage bei der Suche nach den prägenden Einflüssen. Was ist wichtiger: das genetische Erbe, das Mutter und Vater bei der Zeugung vereinen, oder wie beide ihr Kind nach der Geburt fordern und fördern? Geprägt von den Erfolgen der Industrialisierung überwog zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eine eher mechanistische Sicht des Menschen. Heute wissen wir, so einfach ist das nicht. 60, 70 Jahre später kippte das Bild, und vielen schien jeder psychisch vermurkst, der nicht den pädagogischen Segen eines antiautoritären Kinderladens genossen hatte. Heute wissen wir, so einfach ist auch das nicht.

Scheinbar chaotische Muster elektrischer Ströme

Wir werden nicht nach Rezept zu den Menschen, die wir sind, sagen uns die Pioniere der modernen Hirnforschung, mit x Prozent Natur und y Prozent Umwelteinflüssen. Vielmehr bildet sich die Persönlichkeit aus einem ungeheuer komplexen Wechselspiel von Erbgut, Erfahrung und Erziehung. Scheinbar chaotische Muster elektrischer Ströme rasen durch das immense Netzwerk der Neuronen, nehmen auf, was unsere fünf Sinne an Informationen von draußen liefern, leiten weiter, verbinden Zellen und formen selbst noch, wenn wir schlafen, ein nie fertiges Bild - unsere ganz persönliche Sicht der Welt und von uns selbst in dieser Welt. Was wir denken, fühlen, lieben und hassen, alles was wir tun und lassen, geht von unserem Kopf aus. Von wo auch sonst?

Mit den »Röhren« der Hirnforschungsinstitute ist es heute möglich, ohne Skalpell noch hinter die winzigste Windung in unseren Köpfen zu blicken. Ob ein einzelnes Neuron oder das komplette Gehirn: Es kann vom ersten Moment seiner Entstehung im frühen Embryo bis zu den letzten elektrischen Pulsen auf dem Sterbebett beobachtet und oft sogar experimentell befragt werden. Noch haben die Wissenschaftler gewaltige Wege vor sich bei ihrer Expedition in unsere Kopfwelten. Doch was sie bereits in Erfahrung bringen konnten, ist schon spannend genug.

Der freie Wile – eine Illusion?

Hirnforscher bestätigen inzwischen vieles, was Psychologen seit langem aus Erfahrung wissen oder zumindest vermuten. So werden die Fundamente unserer Persönlichkeit - unverrückbar - in den ersten drei bis sechs Jahren unseres Lebens gelegt. Gebaut wird darauf aber noch über die Erschütterungen der Pubertät hinaus bis weit in unsere Zwanziger.

Einen Zeitenwechsel kopernikanischen Ausmaßes versprechen andere Forschungsergebnisse und muten der »Krone der Schöpfung« nicht wenig zu. Denn ganz und gar vorbei sei es, so sagen die Hirnforscher, mit der jahrtausendealten Vorstellung von der Selbstbestimmung und vom freien Willen. Eine Gesellschaft mündiger Bürger - etwa nur eine Illusion? Jeder ist seines Glückes Schmied - alles Selbstbetrug? Starke Töne dringen aus den Labors, auch wenn zumeist noch leise. Immerhin, so werden wir getröstet, lässt uns das Gehirn gnädig den Eindruck, wir könnten wirklich frei entscheiden zwischen der Ehe mit Elisabeth und einer Affäre mit Alfred, zwischen Karriere mit Krawatte und Hippieglück auf Hawaii, zwischen Schröder und Stoiber. Die freie Wahl, wo und neben wem wir aufwachen wollen, sogar die des nächsten Kanzlers - nichts als eine nette Täuschung?

Die Hirnforschung verfügt inzwischen über Instrumente, solche Fragen zu untersuchen. Damit aber wirkt sie über akademische Zirkel weit hinaus. Wie werden wir zu denen, die wir sind? Wie steuert uns das Zentralorgan im Kopf durchs Leben? Was können wir tun, um es dabei so gut wie möglich zu unterstützen und fit zu halten? Antworten auf diese Fragen gibt ab dieser Woche eine dreiteilige sternSerie, die zusammen mit führenden deutschen Hirnforschern entstand und einlädt zu einer Reise auf der Suche nach unserer Seele.

Frank Ochmann

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