Mitten im prallen Leben kommt der Tod vorbei: Er klingelt einfach nebenan, begegnet der Frau von gegenüber, deren schwarze Locken immer so fröhlich bei jedem Schritt mithüpften, und ist Dauergast im Bestattungsunternehmen gleich um die Ecke. Dennoch, so stellt der Berliner Autor Torsten Körner fest, hat der Tod gemeinhin so gar keinen Platz im Alltag eines Familienvaters von Mitte 40.
Körner, der vor zwei Jahren seine pointierten Reportagen aus dem Speisewagen vorlegte, hat sich deshalb einen neuen Auftrag verpasst - und den Tod in sein Leben gelassen. Herausgekommen ist erneut eine anrührende, nachdenkliche, bisweilen komische und überaus lesenswerte Essay-Mischung: "Probeliegen".
"Probeliegen - Geschichten vom Tod"
Von Torsten Körner
Scherz Verlag
Preis: 18,95 Euro
Voller Nähe und Leben
"Ich habe noch nie einen Toten gesehen, habe noch nie jemanden beim Sterben begleitet und bin dem Tod meistens dort ausgewichen, wo ich mit ihm hätte in Berührung kommen können", bekennt Körner zu Beginn. Dies soll sich ändern: Er geht nicht nur weite Strecken zurück in seiner Erinnerung, sondern schreitet vor allem voran in seine Umgebung. Arbeitet als Sargträger und als Totengräber, begleitet Ärzte, Pfleger und Pathologen bis hinab in die metall-glänzenden Katakomben, sucht Begegnungen im Hospiz - und findet fast überall etwas ganz anderes, als er erwartet hätte. Manchmal ist es bitter und ernüchternd, oft ist es voller Nähe und Leben.
Den Tod überwinden. Durch Lust vielleicht? Auch einen Porno-Set besucht Körner, um dem Zusammenhang von Eros und Thanatos nachzuspüren. "Die Verbindung von Schmerz und Lust ist ja eine alte erotische Praxis. Der Schmerz steigert den Rausch, aber in seinem Stachel steckt auch schon das Wissen, dass bald alles vorbei sein wird", doziert eine studierte und hochgebildete Nacktbar-Besitzerin aus Tempelhof vor dem perplexen Autor. Ein Rezept für die Ewigkeit hat die Dame aber auch nicht parat.
"Vom Tod fällt ein scharfes Licht auf das Leben"
Auf dem alt-ehrwürdigen St. Matthäus-Kirchhof in Schöneberg, wo nicht nur die Gebrüder Grimm, sondern auch zahlreiche Aidsopfer begraben sind, findet Körner dafür ein quicklebendiges, bestens besuchtes Friedhofscafé. Dessen Macher, der Berliner Kleinkünstler und Lokalaktivist Bernd Boßmann, streitet seit Jahren für eine neue Friedhofskultur. Doch nicht überall gelingt die Versöhnung mit der Präsenz des Todes so gut wie auf dem bunten Schöneberger Friedhof.
Oft, so muss Körner feststellen, sind endgültige Abschiede bitter und einsam, institutionalisiertes Sterben in Personal- und Zeitnot. Manchmal sind sie sogar sehnlich erwünscht. "Ich bin froh, dass er weg, dass er tot ist!", bekennt eine alte Nachbarin freimütig nach dem Tod ihres Mannes, der sie ihr Leben lang drangsalierte.
Und dann, ganz plötzlich, nimmt der Tod für Körner auch ein persönliches Gesicht an: Bei einem Hospiz-Besuch begegnet er einer Frau, die er kennt. Mehr noch als bei den anderen Erkundungen weicht nun die professionelle Distanz. Ein unerwarteter Schatz an Austausch und Nähe wird gehoben. "Vom Tod fällt ein scharfes Licht auf das Leben", zieht Körner am Ende Bilanz. "Es ist ein Geschenk, dem Tod zu begegnen, wenn man es sich selbst aussucht."