POLITIK Karibischer Albtraum

Paradies Domrep? Von wegen. Mario Vargas Llosa beschreibt in seinem neuen Roman den Terror, der dort 30 Jahre lang wütete.

Sie können sich nicht entscheiden, den neuen, großen, dicken Walser zu lesen, sind verunsichert ob der schrillen Kritik? Verschieben Sie die Entscheidung, und kaufen Sie den neuen, dicken, großartigen Vargas Llosa. »Das Fest des Ziegenbocks« ist Literatur im Weltformat, erzählt den Lebenslauf von Macht und Wahn, von mutigen und feigen Verschwörern, vom Wüten des dominikanischen Generalissimus Rafael Leónidas Trujillo, der das Land 30 Jahre terrorisierte, vom Tyrannenmord. Und es erzählt von der furchtbaren Verletzung der Urania Cabral.

Urania ist 14, als ihr die Unschuld genommen wird mit jener blindwütigen Gewalt, zu der ein alter, inkontinenter und impotenter Mann fähig sein kann. Ein Mädchen, geopfert vom eigenen Vater, »weil sie ein Opfer von mir erwarten«. Agustin Cabral, in Ungnade gefallener Senatspräsident, liefert seine Tochter aus, um Trujillos Gunst zurückzugewinnen.

35 Jahre später kehrt Urania, inzwischen hoch angesehene New Yorker Anwältin, zurück nach Santo Domingo. Es zieht sie in das heruntergekommene Haus, wo ihr Vater dahinvegetiert. »Wie war das möglich, Papa?«, fragt sie. Wie war es möglich, dass Trujillos »rechte und linke Hände sich in Lumpen verwandelten«? Agustin Cabral kann nicht mehr sprechen, wohl aber hören. Und ihre Geschichte anzuhören, das erspart die Tochter dem Vater nicht.

Das Leben und Absterben der Cabrals als Handlungsrahmen hat Vargas Llosa erfunden. Beinahe alle übrigen Personen und Handlungen sind Zeitgeschichte pur: Staatspräsident Joaquín Balaguer etwa, »eine kleine verhuschte Gestalt«, kandidierte noch im Mai 2000 mit 93 ? und erhielt 25 Prozent der Stimmen. Die Verschwörer, die dem Regime Trujillos 1961 mit Gewehrsalven ein Ende setzten. Und ? natürlich ? Trujillo selbst. Der Ziegenbock, der sich mit Yardley deodoriert und mit Talkum bestäubt, »bis die braune Farbe seiner mütterlichen Vorfahren, der haitianischen Neger ... unter einer zarten weißlichen Wolke verschwand«. Jene haitianischen Leiharbeiter, die Trujillo tatsächlich zu Tausenden abschlachten ließ.

Wie ein einzelner Mann

ein ganzes Land als Geisel nimmt, warum die komplette Führungsschicht in Agonie verfällt und weshalb das Volk diesem Mann in stiller Bewunderung verfällt, lotet Vargas Llosa aus. Er beschreibt das Charisma »dieses meisterhaften Manipulierers der Unbedarften, der Narren und Idioten, dieses schlauen Profiteurs der Eitelkeit, Habsucht und Dummheit der Menschen«. Mario Vargas Llosa steuert den Leser zielsicher durch das Labyrinth der Namen, der Orte und Zeitebenen. Und er schildert Folter und Tod so eindringlich, dass dieses Buch wirklich nur von Erwachsenen gelesen werden sollte.

Von Michael Stoessinger