Über Nacht landete der spanische Musiker Íñigo Quintero einen globalen Hit. Seine Single "Si no estás" stürmte im Oktober weltweit die Charts. Die Ballade belegte in mehreren Ländern Südamerikas und Europas – darunter auch Deutschland – die Spitzenposition. Auf Spotify verzeichnete der Song an einem einzigen Tag 5,7 Millionen Streams und landete damit an der Spitze der weltweiten Spotify-Charts. Das gelang zuvor noch keinem anderen spanischsprachigen Solo-Künstler. Innerhalb weniger Tage überholte der 22-Jährige Größen wie Taylor Swift und Bad Bunny.
Sein plötzlicher Erfolg ist der Videoplattform TikTok zu verdanken. 2,6 Millionen Videos sind inzwischen mit seinem Song unterlegt. "Am ersten Tag gab es etwa 200 Videos mit dem Song, am nächsten Tag 300 und innerhalb einer Woche Tausende. Ich konnte es nicht fassen", erinnert sich der Musiker im Gespräch mit dem stern. Zu dem Zeitpunkt habe er TikTok nicht einmal genutzt.
Íñigo Quintero, ein unbekannter, "rätselhafter" Musiker
Die Presse nannte Íñigo Quintero einen "rätselhaften Künstler", da der Spanier die Öffentlichkeit zunächst komplett umging. Im Internet gibt es kaum Informationen über ihn, auf seinem Instagram-Account nur wenige Fotos. Erst Anfang Dezember gab Íñigo Quintero Interviews. Anfangs sei er ziemlich überwältigt gewesen, erzählt er. "Ich musste mir Zeit nehmen, um alles zu verarbeiten und zu akzeptieren, dass ich mich in einer völlig neuen Branche, der Musikindustrie, zurechtfinden muss." Obwohl ihn die Musik schon immer begeistert habe, hätte er niemals damit gerechnet, eine musikalische Karriere einzuschlagen.

Geboren wurde Íñigo Quintero Dolz del Castellar, wie der Spanier mit vollem Namen heißt, im Dezember 2001 in der galicischen Kleinstadt Potedeume, wo sein Vater eine Apotheke betrieb. Seine Mutter stammt aus Madrid. Die Eltern legten bei Íñigo und dessen acht Geschwistern Wert auf eine religiöse Erziehung, berichtet die Lokalzeitung "La Voz de Galicia". Als Íñigo Quintero zwölf Jahre alt war, zog die Familie in die Provinzhauptstadt A Coruña.
An seiner Schule erhielt er erstmals Klavierunterricht. "Ich glaube, Musik ist für mich etwas sehr Angeborenes und Instinktives", sagt er dem stern. Die Musik sei "ein wunderbares Werkzeug, um mich mit mir selbst und jetzt auch mit dem Publikum zu verbinden". Bis er sich traute, vor anderen Menschen zu spielen, verging einige Zeit: Früher schloss er beim Üben die Tür zu seinem Zimmer, damit man ihn weder singen noch Klavier spielen hörte.
"Si no estás" hielt der Musiker lange unter Verschluss
Im Klavierunterricht bemerkten seine Lehrer, dass Íñigo Quintero ein gutes Gehör hat und große Fortschritte macht. Einer seiner Lehrer brachte ihm bei, wie man Songs komponiert. Mit 16 bastelte der Musiker seine ersten eigenen Lieder zusammen und coverte die Hits seiner Lieblingskünstler. Inspiration für seine Texte findet er in eigenen Lebenserfahrungen, im Alltag und in den Menschen um sich herum, erzählt er: "Es bedarf keiner sehr tiefgründigen Dinge, um sich inspirieren zu lassen. Oftmals sind es die kleinen Dinge, die eine überraschende Inspirationsquelle sind."
Nach dem Schulabschluss zog Íñigo Quintero nach Madrid, um Psychologie und Lehramt zu studieren. In der spanischen Hauptstadt fand er Freunde, die seine musikalische Leidenschaft teilten und ihn ermutigten, seine Kompositionen zu veröffentlichen. Erstmals teilte er seine Cover-Versionen und lud Ausschnitte eigene Songs in seine Instagram-Stories. Seinen späteren Hit "Si no estás" hielt er aber noch geheim. Erst im September 2022 lud er die Pop-Ballade auf Spotify hoch.
Ein Jahr später kursierte das Lied plötzlich auf TikTok. Die melancholischen Songzeilen animierten Tausende von Paaren, Freunde und Familienmitglieder, sich in die Arme zu nehmen und ihre Liebe zueinander zu bekunden. In den Videos lachen und weinen viele gleichzeitig. "Ein Freund hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Song viral ging", erzählt Íñigo Quintero.
Eine Tatsache, die ihm immer noch verrückt vorkomme. "Am meisten hat mich überrascht, dass der Song in Ländern, in denen andere Sprachen gesprochen werden, wie Deutschland oder der Schweiz, Anklang fand." Welche Songs gerade auf TikTok viral gehen, beeinflusst gleichzeitig die Musikcharts. Deshalb dauerte es nur wenige Tage, bis das spanische Lied die Hitlisten eroberte.
Die wahre Bedeutung des Liedes bleibt geheim
Worum genau es in dem Lied geht, ist nicht klar. Die Zeilen lassen Raum für Spekulationen. Das Schweizer Nachrichtenportal "20 Minuten" meint, es gehe um den Schmerz und die Qual, "die mit einer Trennung einhergehen". Die Streaming-Plattform Spotify spricht von einer "Liebesgeschichte ohne Happy End". Watson wirft "die Suche nach sich selbst durch Spiritualität und Glauben" in den Ring. Tatsächlich wurde vor allem in der spanischen Presse häufiger darüber debattiert, ob es sich bei "Si no estás" um einen christlichen Song handele, der eine Glaubenskrise beschreibt.

Die Zeitung "El País" mutmaßt sogar, dass ein Teil seines Erfolgs christlichen Influencern zuzuschreiben sei, die den Song schon vor dem TikTok-Erfolg verbreiteten. Der Musiker selbst will die genaue Bedeutung des Liedes nicht enthüllen. "'Si No estás' kann viele Bedeutungen haben, der Glaube ist nur eine davon. Ich mag es, wenn jeder seine eigene Interpretation findet", sagt Íñigo Quintero dem stern. Sein Hit solle "ein Lied mit einer offenen Botschaft bleiben das jeder für sich selbst fühlt".
Die Labels "Believe Music" und "Acqustic", die den Sänger vertreten, glauben, dass das Lied vor allem mit der Generation Z resoniert. "Der Text ist sehr tiefgründig. Es geht darum, dass etwas Wesentliches im Leben fehlt", betont Alejandra Olea, Geschäftsführerin von "Believe Music America" im Gespräch mit "Billboard.com". Die Songzeilen treffen damit genau das in der Generation Z präsente Gefühl der Verlorenheit, meint Alejandra Olea. Zusätzlich fällt der Hit von Íñigo Quintero mit einem generellen Streaming-Boom von lateinamerikanischer Musik zusammen.
Nachfolge-Single handelt von dem überraschenden Erfolg
Sein Leben habe der Erfolg nur minimal verändert, erzählt der 22-Jährige: "Ich versuche, dass es meinen Alltag so wenig wie möglich beeinflusst, damit ich mit beiden Beinen auf dem Boden bleibe." Íñigo Quintero geht nach wie vor jeden Tag in seine Seminare und verbrachte seinen Geburtstag im Dezember damit, für die anstehenden Klausuren zu lernen. In der Öffentlichkeit wird er kaum erkannt. Er habe das Gesicht eines "Charakters, die in Videospielen im Hintergrund erscheinen und ein gewöhnliches und unauffälliges Aussehen haben", zitierte die "Voz de Galicia" den Sänger.
Sein erster Bühnen-Auftritt in A Coruña habe ihn "zu Tode erschreckt". Mit einem Instagram-Post drückte er im Nachhinein aber Dankbarkeit und Freude für das Konzert und das singende Publikum aus. "Zum Glück habe ich viel Unterstützung von professionellen Personen, aber auch von meiner Familie und meinen Freunden erhalten", sagt der 22-Jährige dem stern.
In seiner neuen Single "Lo que queda de mí" verarbeitet Íñigo Quintero seine Gefühle nach dem überraschenden Erfolg. Ein Gespräch mit einem Freund inspirierte ihn zu dem Lied, in dem er darüber singt, wie ihn alles überwältigt habe und dass er sich selbst treu bleiben wolle. Ähnlich wie sein Welthit ist der Nachfolger ebenfalls eine Klavier-Ballade. Anfang Dezember erschien das Lied. Der Erfolg blieb jedoch aus. Ihm sei bewusst, dass es sehr schwierig sei, das Niveau von "Si no estás" zu erreichen.
"Ich bin leidenschaftlich dabei"
"Ich möchte mich nicht unter Druck setzen", sagt der Sänger. Genauso schnell wie sein Hit viral ging, war der Hype auf TikTok – einer Plattform, die ohnehin für ihre Schnelllebigkeit bekannt ist – wieder abgeflaut. Das weckte in dem Musiker die Sorge, ein One-Hit-Wonder zu bleiben, für immer und ewig der "Si no estás"-Typ. "Ich verstehe das, weil ich bisher wenige Songs veröffentlicht habe", so der 22-Jährige. Deshalb setze er sich zum Ziel, "weiterhin Songs zu schreiben, die die Leute ansprechen". Neben neuen Liedern habe er 2024 noch weitere Überraschungen für seine Fans geplant – von denen er aber noch nichts verraten wolle. "Ich bin leidenschaftlich dabei", betont er.
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Íñigo Quintero hofft auf eine lange und erfolgreiche Karriere in der Musikbranche, sein Studium verfolgt er trotzdem weiter, "weil mir auch das Unterrichten sehr gefällt". Die Musik kam überraschend auf ihn zu, wofür er sehr dankbar sei. Es beruhige ihn aber, zu wissen, dass er auch als Lehrer glücklich werden würde.
Quellen: "Billborad.com", "Economic Times", "La Voz de Galicia", "La Voz der Galicia" (II), "La Voz de Galicia" (III), "Watson", "20 Minuten"