Er ist der meistgestreamte Künstler der Welt, Ticketverkäufe für seine Tourneen brechen Rekorde, vor einigen Jahren widmete ihm das "Time Magazine" das erste spanischsprachige Cover in der Geschichte des Magazins – doch in Deutschland ist Bad Bunny immer noch kaum bekannt, auch wenn er mit seinem Album "Debi tirar más fotos" Anfang dieses Jahres erstmalig in die deutschen Top 5 einzog.
Was laut der "Süddeutschen Zeitung" vermutlich daran liegt, dass "der derzeit größte Popstar des Planeten hauptsächlich von den rund acht Prozent der Menschheit gehört, gefeiert und geteilt wird, die Spanisch sprechen". Doch genau diese acht Prozent haben den Puerto Ricaner zu einem Phänomen gemacht, das die komplette Musikindustrie auf den Kopf gestellt hat. "Bad Bunny führt eine Latin-Pop-Revolution an", schrieb der "Rolling Stone" bereits 2020 – er sollte recht behalten. Wer ist der Mega-Star, der hierzulande noch so sehr unter dem Radar läuft?
Bad Bunny war ein schüchternes Kind aus religiösem Haushalt
Mit bürgerlichem Namen heißt der 31-Jährige Benito Antonio Martínez Ocasio. Sein Künstlername ist auf ein Foto aus seiner Kindheit zurückzuführen, auf dem er ein Hasenkostüm trug. Als Sohn einer Lehrerin und eines Truckers wuchs er in einem streng katholischen Haushalt mit zwei jüngeren Brüdern in einer ländlichen Gegend von Puerto Rico auf, etwa 45 Minuten von der Hauptstadt San Juan entfernt.
Obwohl in seinem Elternhaus immer Musik – Salsa und Merengue – lief, kam er mit Reggaeton erst im Teenie-Alter in Kontakt. Die elektronische Musikrichtung mit ihren teils vulgären Texten war in dem religiösen Familienumfeld tabu. Der junge Benito, laut dem "Rolling Stone" ein "schlaksiges Mauerblümchen mit dröhnender Stimme", sang damals im Kinderchor der katholischen Kirche. Eigenen Angaben zufolge war er ein introvertiertes, schüchternes Kind mit überbordender Fantasie.

Musik mache er, seitdem er 13 ist, erzählt er im Interview mit dem "Time Magazine". Zu Hause in seinem Zimmer nahm er Songs auf, experimentierte mit verschiedenen Formen lateinamerikanischer Musik. Wie die "Welt" berichtet, veröffentlichte er erst nach dem Zureden seiner Freunde erste Tracks auf der Plattform Soundcloud.
Während er ein Studium der audiovisuellen Kommunikation begann, das er wenig später wieder schmiss, arbeitete er in einem Supermarkt als "Grocery Bagger", packte also die Ware der Kunden nach dem Bezahlen in Plastiktüten ein. Seine ersten Erfolge feierte er mit Features auf Songs von Drake ("Mia") und Cardi B ("I like it"). Der Song mit der US-Rapperin stieg in die Top Ten der Billboard Hot 100 ein, wodurch Bad Bunny 2018 der Durchbruch in den USA gelang.
Lebensmotto und Erfolgsrezept: "Ich mache, was ich will"
Es folgten sechs Studioalben, die mit immer größerem Erfolg einhergingen. Seine erste Platte "X 100pre" – eine Abkürzung für das spanische "por siempre" ("für immer") nannte der "Rolling Stone" einen "Versuch, diejenigen zu umwerben, die neu in der lateinamerikanischen Musik" sind. Dabei setzt er auf "anglophone Botschafter wie Diplo und Drake". Der Nachfolger sei hingegen ein "Porträt von Bad Bunnys Puerto Rico: ungefiltert und unübersetzt".
Passenderweise trägt das Album die Initialen seines Lebensmottos. "YHLQMDLG" steht für "Yo hago lo que me da la gana", zu Deutsch "Ich mache, was ich will". Seine Platte "Un verano sin ti" schoss 2023 in den USA auf Platz eins der der Billboard-Album-Charts und wurde für einen Grammy nominiert – als erstes komplett spanischsprachiges Werk in der Geschichte des Musikpreises.
Drei Jahre in Folge führte Bad Bunny die Liste der meistgestreamten Künstler an. 20,4 Milliarden Klicks waren es allein 2022. Mit seinen Konzerten brach er sogar einen Weltrekord. Kein Künstler hat innerhalb eines Kalenderjahres mehr Einnahmen durch Livekonzerte generiert als Bad Bunny: 435 Millionen Dollar brachten ihm seine Auftritte im Jahr 2022 ein. Vor fünf Jahren trat er bereits als Gast von Shakira bei der Halftime-Show des Superbowls auf, und längst ist Bad Bunny sogar nach Hollywood vorgedrungen. Nach einem Gastauftritt in der Netflix-Serie "Narcos" spielte er in "Bullet Train" neben Brad Pitt einen Auftragskiller.
Seine Musik durchbricht Genregrenzen, dem Spanischen bleibt er aber treu
Die Musik von Bad Bunny als Reggaeton abzustempeln, wäre zu einfach. Obwohl der Großteil seiner Songs von dem tanzbaren lateinamerikanischen Elektro-Stil inspiriert ist, sind es die genreübergreifenden Sounds, die der Musik des Puerto Ricaners ihren speziellen Charakter verleihen. Auf den Tracks sind Einflüsse von Rap, House, Dance-Pop, Indierock und aus traditionellen Musikrichtungen wie Salsa und Bachata zu hören.
Das "Time Magazine" nennt ihn einen "meisterhaften Chemiker, der Jahrzehnte lateinamerikanischer Musik zu innovativen Mixen verschmilzt". Der "Rolling Stone" bezeichnet ihn als "Ein-Mann-Hit-Maschine". Sein Wiedererkennungswert basiert auf einer Stimme, die sich durch "einen tiefen, schlammigen Ton und zähflüssige Melodien" auszeichnet. Die Themen, die Bad Bunny besingt, reichen von Sex am Strand bis zur mangelnden Infrastruktur Puerto Ricos – seine Lyrics sollen alle Facetten des Lebens widerspiegeln, schreibt das "Time Magazine".
Zu Ehren von "El Mundo de Bad Bunny" ("Die Welt von Bad Bunny") hatte das US-amerikanische Nachrichtenmagazin ihm den ersten spanischen Titel gewidmet. Auch auf dem Cover prangte sein Lebensmotto – das sich zudem auch als sein Erfolgsrezept erwiesen hat: "Ich werde nichts anders machen, nur damit ich dir gefalle." Bad Bunny lässt sich nicht verbiegen und geht keine Kompromisse ein.
Schon gar nicht, was die Sprache angeht. Bad Bunny singt nahezu ausschließlich auf Spanisch. Als er 2023 die Grammys eröffnete, blendete der Sender während seines Songs statt eines Untertitels die Phrase "Singing in Non-English" ein. Gleiches geschah bei seiner Dankesrede – eine "Schweinerei" nannte es der Musiker im Gespräch mit dem "Time Magazine". Dennoch scheint die Frage, ob ein Popstar sich für eine Weltkarriere nicht vom Spanischen verabschieden sollte, geradezu abwegig, meint die "Welt". Die Streaming-Zahlen und Ticketverkäufe sprechen immerhin für sich.
Bad Bunny feiert seine feminine Seite
Seine "hartnäckige Originalität", die ihm nicht nur das "Time Magazine" attestiert, bezieht sich neben Sprache und Genres auch auf seine politische Haltung und sein Äußeres. Bad Bunny will sich nicht in ein typisches Männerbild einordnen lassen, vor allem nicht in die Schublade des Latino-Macho. Damit gehört er – ähnlich wie Harry Styles – zu einer Generation männlicher Popstars, die gegen stereotype männliche Ideale ankämpfen. Seine Heterosexualität solle nicht sein Aussehen definieren, betont Bad Bunny. Dementsprechend sieht man den Puerto Ricaner auf der Bühne und auf dem roten Teppich oft in geschlechtsübergreifender Mode und feminin konnotierten Kleidungsstücken.

Er zeigt sich im Tüll-Kostüm, in einem pinkfarbenen Mantel, mit Perlenketten oder mit Nagellack. 2020 trat er in der "Tonight Show" mit rosa Oversize-Blazer und einem schwarzen Satinrock auf, um auf den Mord an einer Transgender-Frau aufmerksam zu machen. "Ich hatte immer das Gefühl, dass ein Teil von mir sehr feminin ist", sagte er dem "Rolling Stone". "Aber ich habe mich noch nie so männlich gefühlt wie an dem Tag, als ich mich wie eine Drag Queen verkleidet habe." Kein Wunder, dass ihn das Magazin zu einer "neuen Art von Latin-Superstar, maßgeschneidert für eine Generation aufgeschlossener Zuhörer" erklärte.
So sehr der Sänger sich gegen Kategorien wehrt, umso deutlicher steht er für seine Herkunft ein. "Ich bin unheimlich stolz darauf, Puerto Ricaner zu sein", lässt der Superstar immer wieder verlauten. Fast all seine Lieder, Auftritte, Errungenschaften widmet er der kleinen karibischen Insel. Das Eiland gehört zu den sogenannten Außengebieten der USA: Die Bewohner sind offiziell US-Bürger, dürfen aber nicht an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen.
Für einen Protest in seiner Heimat unterbrach er die Tournee
"Wenn ich schreibe und Musik mache, ist mein Geist immer in Puerto Rico", zitiert ihn die "Welt". Was die Fans in seiner Heimat zu seiner Musik sagen, sei ihm am wichtigsten, verriet er dem "Time Magazine". Er wolle, dass jeder sich glücklich, akzeptiert und frei fühle. "Zurückzugeben ist etwas, das sich natürlich anfühlt – so sind wir in Puerto Rico." Nicht nur ihm liege es am Herzen, Aufklärung über seine Heimat zu leisten.
Auch politisch setzt er sich für die Insel ein. 2019 unterbrach er seine Tournee, um sich den Protesten in San Juan anzuschließen, die die Absetzung von Gouverneur Ricardo Rosselló forderten. Auf seiner Single "El Apagón" wetterte er gegen Puerto Ricos Gouverneur Pedro Pierluisi und die ständigen Stromausfälle seit der Privatisierung des Stromnetzes.

Mit klaren politischen Aussagen ist er allerdings vorsichtig. "Ich denke, die US-Regierung hat Puerto Rico im Stich gelassen", sagt er dem "Time Magazine", fügt aber sogleich hinzu: "Ebenso hat Puerto Rico Puerto Rico im Stich gelassen." Seine Herkunft legt ihm zugleich eine gewisse Bürde auf. In der "Time"-Titelgeschichte sagt er, er habe das Gefühl, aktivistische Lyrics zwängen ihn anscheinend dazu, politische Fragen im Namen der Millionen Bewohner seiner Heimatinsel zu beantworten – was er als zu große Verantwortung empfinde. Ebenso werde "jede seiner persönlichen Entscheidungen durch eine größere kulturelle Linse geprüft", schreibt das Nachrichtenmagazin. Als er mit Kendall Jenner liiert war, prangerten zahlreiche Fans ihn des Verrats an, da er zuvor so oft seine Liebe zu lateinamerikanischen Frauen betont hatte.
Latin Music ist in Deutschland noch immer eine Nische
Bad Bunny selbst führt seinen Erfolg auch auf den Aufstieg der "Música Urbana" zurück, einem Subgenre des Reggaeton, das die Musikrichtung um Trap und spanischen Rap erweitert hat. Dem Reggaeton selbst haben Künstler wie Tego Calderón, Héctor & Tito oder Daddy Yankee bereits in den Nullerjahren zu Mainstream-Erfolgen verholfen. Die elektronische Latino-Musik gewann immer mehr an Bedeutung und ebnete den Weg für einen Künstler wie Bad Bunny, der laut dem "Rolling Stone" das Talent habe, "Reggaeton für eine neue Generation von Zuhörern frisch zu halten".
In den USA wächst lateinamerikanische Musik schneller als jedes andere Genre. Spanischsprachige Musiker "machen Englisch als Welt-Pop-Sprache Konkurrenz", so die "Welt". "Die jahrzehntelange Dominanz des westlich geprägten Rock und Pop scheint gebrochen", meint auch die "Frankfurter Allgemeine Quarterly", Latin Music sei die "neue Währung der globalisierten Popszene".
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In Deutschland ist der Wandel noch nicht angekommen. Latin Music kennt man höchstens in Form von Sommerhits oder laut der "Süddeutschen Zeitung" als "reizendes Nischenphänomen, das im Diskurs keine allzu zentrale Rolle spielt". Dementsprechend ist Bad Bunny hierzulande immer noch recht unbekannt. Man zeige sich hierzulande noch immun "gegenüber dem im Grunde unwiderstehlichen Charme des Musikers", stellt die "Welt" fest. Allerdings werden aktuell mehr und mehr deutsche Medien auf den Künstler aufmerksam. Und sie alle sind sich einig, dass der Umbruch bereits im Gange ist. Und spätestens wenn die Neuordnung der Popwelt auch hierzulande vollzogen ist, wird man sich dem Phänomen Bad Bunny nicht mehr entziehen können.
Quellen: "Die Welt (I)" "Die Welt (II)", "Frankfurter Allgemeine Quarterly", "Rolling Stone", "Süddeutsche Zeitung (I)", "Süddeutsche Zeitung" (II), "Time Magazine"