Am Ende haben sich alle lieb, der Sohn den Vater, die Tochter die Mutter, umgekehrt sowieso, und in Reihe fünf hat Udo Jürgens feuchte Augen, als er zum ersten Mal das Ergebnis von vier Jahren Arbeit sah: "Ich war noch niemals in New York" - 23 seiner populärsten Songs, gegossen zu einem Musical. Immer wieder war Jürgens nach Hamburg gekommen, öfter, als es der Vertrag mit den Produzenten, der Stage Entertainment, verlangt hätte. Casting, Proben, Presse. Und dann, als die Hauptdarstellerin im roten Schleppenkleid die Treppe herabschreitet und singt "Was wirklich wichtig ist, weiß ich erst heut'", da ist er nur noch gerührt.
Es ist nicht das Leben des Udo Jürgens, das im Hamburger Operettenhaus auf die Bühne gebracht wird, kränklicher Kärntner Bub verzaubert mit seinem gläsernen Flügel die Welt, blonde Frauen trösten ihn über einsame Hotelzimmernächte hinweg, merci chérie. Es ist der Soundtrack seines Lebens, eingebunden in eine Geschichte, wie sie sich seit einem Vierteljahrhundert regelmäßig auf dem ZDF-"Traumschiff" ereignet: Karrierefrau lässt Mutti im Heim versauern, die verliebt sich in einen Mitbewohner, die beiden Alten reißen aus, gehen auf Kreuzfahrt, unter der Freiheitsstatue wollen sie heiraten.
Die Tochter reist hinterher, fassungslos, atemlos, im Schlepptau den attraktiven Sohn von Muttis Neuem. Dann gibt es noch ein schwules Pärchen. Und ein Kind - warum eigentlich nicht noch einen Hund? Vor zwei Jahren hatte die Stage Entertainment einen kleinen Kreis von Journalisten und Kulturschaffenden geladen und eine Rohfassung des Musicals präsentiert, geschrieben von der Schriftstellerin Hera Lind. Da folgte Sahne auf Torte - die Kette der Vorhersehbarkeiten rief allgemeines Entsetzen hervor. So bat man den österreichischen Dramatiker Gabriel Barylli herbei, der die Story stutzte, manchen Klamauk und etlich Erwartbares entfernte.
Der Vorverkauf brach alle Rekorde
"Mit 66 Jahren" wird also nicht, wie man's befürchtet, zum Geburtstagsfest im Altersheim angestimmt. "Siebzehn Jahr, blondes Haar" kommt ironisch daher im 80er-Jahre-Popsound, der dröge "Platz an der Sonne" als Samba. Ein Matrosenchor summt schwarzmeerflott "Buenos Dias, Argentina", im Reisebüro ploppen Plastikpalmen aus Katalogständern, auf einem Riesen-Navi wird eine wilde Autofahrt durch Europa nachgestellt.
Das Musical
Das Musical "Ich war noch niemals in New York" basiert auf 23 Songs von Udo Jürgens und läuft seit Ende 2007 im Hamburger Operettenhaus. Tickets gibt es online oder unter Telefon 01805-4444 (0,14€/Min aus dem dt. Festnetz).
"Mit 66 Jahren", so sollte das Werk anfangs heißen, was ungefähr den Biss von dritten Zähnen hatte. "Ich war noch niemals in New York", da denken die Menschen an Fernweh, Ferien, Freiheit - das hat die Marktforschung erfragt. Kaum etwas soll dem Zufall überlassen werden beim ersten Musical, das die niederländische Stage Entertainment hierzulande produziert. Für "Ich war noch niemals in New York" waren bereits im Vorfeld 150.000 Karten verkauft worden - mehr als damals vor den Hamburger Premieren von "König der Löwen" und dem Abba-Musical "Mamma Mia".
Lieber noch einen Retsina bestellen
"Ich war noch niemals in New York" ist komponiert wie ein guter Jürgens-Song: Man könnte sich einen Kopf machen über das Zusammenleben der Generationen, Alterspyramide, Pflegenotstand - gibt sich dann aber doch lieber den altvertrauten Liedern hin. So wie man "Griechischer Wein" weniger als Erörterung des Gastarbeitertums versteht, sondern als Ermunterung, noch einen Retsina zu bestellen.
Gabriel Barylli sagt, er habe zu Beginn seiner Arbeit eine ganz hübsche Idee gehabt, wie man "Aber bitte mit Sahne" illustrieren könnte: Torten und Kuchen werden auf die Bühne geschoben, riesige, Buttercreme und Bienenstich, immer mehr, die Darsteller stopfen alles in sich rein. Bis sie schließlich platzen, und die Sahne sich über das Publikum ergießt. Danach: Putzpause. Wurde abgelehnt. Schade eigentlich.
be/akü