Selig-Comeback Neuanfang nach zehn Jahren

Von Alexander Meyer
So plötzlich, wie Selig Ende der 90er von der Bildfläche verschwunden waren, sind sie jetzt wieder aufgetaucht - Album und Tour inklusive. stern.de sprach mit der Band über Trennungsgründe, den Neuanfang und deutschen Pop der letzten zehn Jahre.

Als "die ganz natürliche Selig-Halbwertszeit", beschreibt Sänger Jan Plewka das, was sich viele bis heute nicht erklären konnten. Als die große Deutschrock-Hoffnung der 90er Jahre waren Selig 1997 auf dem Zenith ihrer Karriere urplötzlich von der Bildfläche verschwunden, um im Zuge der Veröffentlichung eines Greatest Hits-Albums zwei Jahre später ihre endgültige Trennung bekanntzugeben. "Die vier Jahre Bandgeschichte waren so intensiv wie normalerweise zehn Jahre. Totale Reizüberflutung. Es gab jeden Tag 48 Stunden nur Selig, Selig, Selig. Wir haben immer und zu allem ja gesagt, und alle sozialen Kontakte vernachlässigt. Irgendwann gab es dann den Punkt, an dem wir einfach nicht mehr miteinander geredet haben. Wie bei Pärchen, die sich nichts mehr zu sagen haben, weil schon alles gesagt wurde, und man sich fragt 'Warum sind die überhaupt noch zusammen?"

Auch unschöne Dinge an den Kopf
So ging jeder seinen eigenen Weg, ohne die Musik auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen - ob als Produzent, Songwriter oder in verschiedensten Bands. Gitarrist Christian Neander fand mit "Kungfu" schnell eine neue Heimat. Plewka veröffentlichte, nach kurzem Aussteiger-Intermezzo als Tischler in Schweden, sein erstes Soloalbum. Es folgten seine Bands "Zinoba" und "TempEau", bei denen jeweils auch Selig-Schlagzeuger "Stoppel" Eggert mit von der Partie war. Der mediale Aufhänger all dieser Projekte war natürlich "Ex-Selig". Doch die Band war sich sicher: Selig würde es nie wieder geben. Zu groß war der Groll untereinander. Bei Neander und Plewka blieb es nicht beim Schweigen - man warf sich auch unschöne Dinge an den Kopf.

Jetzt, Anfang 2009, findet man sich zum gemeinsamen Interviewtermin in einem Hamburger Nobelhotel wieder. Woher der Sinneswandel? "Keine Ahnung," weiß auch Plewka den Anfang des neuesten Kapitels nicht wirklich zu rekapitulieren. "Stoppel und ich saßen irgendwann zusammen und haben uns gedacht: 'Sollen wir mal anrufen?' Die Nummern mussten wir uns über drei Ecken wieder zusammensuchen, da es in der Zwischenzeit wirklich absolut keinen Kontakt gab. Wahrscheinlich war die Halbwertszeit wohl abgelaufen. Die Wogen hatten sich mit der Zeit völlig geglättet. Christian fragte dann auch gleich: 'Und was ist mit dem ganzen Groll gegen mich?' Ich konnte nichts anderes antworten, als dass er ganz einfach verflogen ist."

"Warum machen wir das überhaupt?"


So traf man sich schließlich an neutralem Ort in einem Restaurant außerhalb von Hamburg, um die Reunion in Angriff zu nehmen. Anfangs noch mit Misstrauen ob der Geschehnisse der vergangenen Jahre, dann aber wieder mit dem Enthusiasmus der Anfangstage. "Man konnte sofort merken, dass diese Liebe von früher, die dann in Hass umgeschlagen war, trotzdem noch eine Flamme der Leidenschaft hinterlassen hat, die wir einfach nur verdrängt hatten," so Plewka. Schnell wurde klar, dass es nur unter einer Voraussetzung weitergehen kann: Es muss wieder richtig gut werden. "Das Erste, worüber wir dann sprachen, war, warum wir das überhaupt machen sollten. Für mich war es eigentlich auch eine abgeschlossene Sache. Selig war früher mit Jugend und Wildheit verbunden. Warum sollte man das jetzt mit zehn Jahren mehr auf dem Buckel noch einmal machen? Wir haben uns dann gedacht: Wenn man etwas macht, dann muss es auf jeden Fall genau so gut sein wie früher. Sonst macht man sich die tolle Zeit und die tollen Erinnerungen im Nachhinein noch kaputt. Und unseren Ruf natürlich auch. Sonst heißt es nachher 'Die alten Säcke brauchen halt noch mal Geld'. Wir haben uns dann in den Proberaum gestellt und überlegt, ob wir noch etwas zu erzählen haben, das sich lohnt, das Fass noch einmal auf zu machen," ergänzt Bassist Leo Schmidhals.

Eine vollkommen andere Situation
Spätestens hier waren dann auch die letzten Zweifel beseitigt, wie Gitarrist Christian Neander zu berichten weiß. "Es ging alles total schnell, und wir hatten unseren Sound wieder gefunden. Bilderflut im Kopf, wahnsinnige Emotionalität. Wir haben einfach so drauf los gespielt und gleich gemerkt, dass es da gar nichts zu konstruieren und planen gibt – dieser Sound ist einfach die Essenz aus dem, wie wir fünf zusammen klingen. Es gab daher auch keine Überlegungen, wie das jetzt alles 2009 klingen muss. Wir klingen einfach, wie wir klingen, wenn jeder sein Instrument spielt – und fertig. Die Probe war wie ein großes Ausrufezeichen, und danach war klar: Wenn wir das jetzt nicht versuchen, sind wir total dämlich. Wir haben dann direkt begonnen, neue Songs zu schreiben, denn wir wussten sofort, dass das etwas ist, was sich auch lohnt. Wir mussten uns aber auch bremsen, um nicht direkt wieder loszulaufen und in den Wahnsinn zu rennen. Aber jetzt ist die Situation anders als früher. Es gibt Familien und andere Projekte, die nebenher auch noch laufen. Das ist total wichtig, wenn so etwas wirklich funktionieren soll."

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