Herr Lanz, Sie haben doch hoffentlich ergebenst und untertänigst dem Herrn Böhmermann vorab die Gästeliste zur Freigabe vorgelegt. Obacht! Nicht dass bei Ihnen womöglich noch Leute sitzen, die "durchtränkt sind von Menschenfeindlichkeit". Überhaupt, dass Sie bisher ohne Rücksprache mit Herrn Böhmermann Ihre Talks durchgezogen haben, einfach so, na, das war, sagen wir mal, grob fahrlässig. Und Frau Prien passt nun außerdem mit auf, dass Sie ausgewogen bleiben. Kaum wollen Sie zur Gendersternchen-Debatte ganz groß ausholen, weist sie Sie, Seite an Seite mit Herrn Baum, in Ihre Schranken mit "Wir haben in diesem Land andere Probleme."
Stimmt, ja. Ihnen fällt's auch gleich auf: "Die Gewichtung stimmt nicht, die False Balance in dem Zusammenhang." False Balance! Gut gekontert. Wie Sie mit dieser Bemerkung via Herrn Böhmermann austeilen, so en passant, hat was. Doch genug davon. Und Entschuldigung an alle, die mit diesen Anspielungen nichts anfangen können. Unser Land hat ja tatsächlich ganz andere Probleme. Allein: Selbst die Politik spricht die gar nicht an. Schon gar nicht im Wahlkampf. Warum das so ist, wollte Markus Lanz am Dienstagabend wissen.
Die Talkgäste in alphabetischer Reihenfolge:
- Gerhart Baum, FDP-Politiker
- Hasnain Kazim, Journalist
- Ahmad Mansour, Psychologe
- Karin Prien, CDU, Bildungsministerin Schleswig-Holsteins
Überhaupt, dies sei ein beschämender Wahlkampf. Wo sind denn die Inhalte? Warum wird den Wählern nicht die Wahrheit gesagt? Gerhart Baum zeigte deutlich seinen Unmut. Man müsse unter anderem deutlich machen: "Die Rente ist ungesichert, ihr müsst länger arbeiten, das wird euch was kosten." Auch bei den Klimamodellen müsse man offen ansprechen, dass da Kosten auf die Bürger zukommen würden. Besonders groß sei das Schweigen rund um das Thema Migration: "Das wird gemieden." Dabei braucht Deutschland, wie berechnet wurde, um die 400.000 Zuwanderer pro Jahr als Arbeitskräfte. "Nicht von Pappe" sei außerdem, hier vor allem im Hinblick auf Online-Plattformen, dass die Demokratie bedroht sei. Aber wer traue sich schon, im Wahlkampf davon zu reden? Ohnedies, so Baum weiter: "Auch die die Pandemie wird ihre Spuren hinterlassen, wir sind in einer Zeitenwende, wir spüren, die Welt ist aus den Fugen."
FDP-Politiker Gerhart Baum bei Lanz: "Wir waren früher vielfältiger."
Mit Blick auf die jüngst vergangene Bundestagsdebatte, in der es allerlei verbalen Tumult gab, schöpft er, zumindest den Wahlkampf betreffend, allerdings wieder Hoffnung: "Da kommt was in Schwung". Der letzten Rede der Kanzlerin attestierte er ein "Okay". Endlich springe sie Laschet zur Seite. Ein großes Rätsel sei allerdings das Zukunftsteam um Armin Laschet. Plötzlich sei es da. Doch die Wähler würden bereits seit zehn Tagen wählen. Immerhin gibt's ein Team, wandte Lanz ein. Bei der FDP sähe er nur "Christian Lindner, der verträumt in die Landschaft guckt." Baum räumte ein: "Wir waren früher vielfältiger."
Was ist denn nun mit diesem Zukunftsteam? Kann das den Abwärtstrend der Union drehen? Nachgefragt bei Karin Prien. Sie gehört ja dazu. Und berichtete, sie sei bereits im Mai von Armin Laschet angesprochen worden, ob sie in einem Team mitwirken wolle. "Der fragt Sie im Mai und holt Sie jetzt aus dem Versteck?", wunderte sich Lanz. "Warum so spät?" Prien: "Das müssen Sie ihn fragen." Zum Timing hatte sie so ihre eigene – in sich widersprüchliche – Vorstellung: "Spät, aber rechtzeitig." Und die Namen der Mitglieder des achtköpfigen Zukunftsteams, können Sie die aufzählen, Frau Prien? Die CDU-Politikerin konnte es – und sagte alle Namen brav auf.
Karin Prien: "Was sucht Herr Maaßen in der CDU?"
Das freilich war eine Anspielung auf Friedrich Merz, ebenfalls Teammitglied, der sich jüngst in einem ARD-Interview weigerte, alle Team-Namen aufzuzählen. Was ihn in den Verdacht brachte, er wüsste sie nicht. Er wiederum nannte als Begründung, das sei "albern". Und man kann ihm da nur Recht geben. Die Namen aufzählen zu müssen, so wirkte es auch bei Lanz, ist tatsächlich albern. Interessant hingegen die Maaßen-Gewissensfrage, die der Moderator so ziemlich jedem CDU-Politiker stellt: "Wenn Sie in Thüringen leben würden, würden Sie Herrn Maaßen wählen?" Prien ging deutlich auf Distanz: "Was sucht Herr Maaßen in der CDU?" Und, mit Blick auf den dortigen SPD-Kandidaten und ehemaligen Spitzen-Biathleten Frank Ullrich: "Sagen wir mal so. Ich bin von Leistungssportlern immer wieder fasziniert."
Ahmad Mansour verwies auf weitere vergessene Themen im Wahlkampf: wie mit Corona langfristig umgehen und was tun mit dem außenpolitischen "Riesenvakuum", jetzt da die USA nicht mehr Weltpolizei spielen wolle. Als Chef einer Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention ist ihm außerdem eine gelungene Integration und Migrationspolitik ein besonderes Anliegen. Es gehe darum, es zu schaffen, "Menschen, die hierher kommen unsere Werte zu vermitteln". Als da wären: Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, eine klare Position gegen Antisemitismus und das Bewusstsein darüber, dass Deutschland ein säkulares Land sei. Er plädierte für einen "starken Rechtsstaat, der Grenzen zeigt, wenn jemand nicht bereit ist, sich zu integrieren, wenn er nicht bereit ist emotional hier anzukommen und beispielsweise seine Töchter unterdrückt." Dann müsse man die Betreffenden abschieben.
Menschen mit radikaler islamistischer Gesinnung wollen, so Mansour, "dem Westen weh tun". Ein anderer heikler Punkt: es gibt Menschen aus der Türkei, die in Deutschland leben, die "sehen Erdogan als ihren Präsidenten": "Das müssen wir thematisieren." Das Brisante beim Namen zu nennen, dafür steht Mansour ein. Und wird nach eignen Angaben von Linksextremisten ebenso diffamiert und bedroht wie von Rechtsextremisten. "Seit 2015 lebe ich unter Personenschutz." Gegenwind gab es auch in der Sendung. Prien verwies auf eine aktuelle Allensbach-Umfrage, wonach eine große Mehrheit der muslimischen Bürger die Demokratie für die beste Staatsform hielten. Viele seien sehr gut integriert, man solle ihnen nicht Unrecht tun. Mansour warf ihr im Laufe der Diskussion vor, ihn absichtlich falsch verstehen zu wollen, um ihn in die rechte Ecke drängen zu können.

Lanz hatte bereits gegenüber Baum einen anderen Vorstoß gemacht und das Thema Clan-Kriminalität angesprochen. "Es gibt Entwicklungen, die mit Einwanderung zusammenhängen", räumte Baum ein, und machte deutlich, dass man deshalb nicht die Einwanderung in Frage stellen dürfe. Leute die in Not sind, müsse man aufnehmen. Er warnte davor, Flüchtlinge zum Sündenbock zu machen. Mansour wiederum suchte nach konkreten Lösungen. Im Stadtbild beispielsweise sollten "Ghettos" vermieden werden: "Kein Viertel mit mehr als 30 Prozent Migrationshintergrund." Darauf solle man auch aus schulpolitischer Sicht schauen. Prien zeigte sich deutlich genervt. "Ich bitte Sie, was sollen wir noch alles machen", blaffte sie Richtung Mansour. Sie engagiere sich sehr für Digitalisierung und vieles, was jetzt nötig sei, um Schule zukunftsfähig zu machen. Aber es sei eine völlige Überforderung, das Schulsystems ad hoc umzubauen. Mansour hingegen meinte, dass es möglich sei – und dass man nur anfangen müsse.