Euer neues Album trägt keinen Namen. Es hat nur ein schlichtes, rotes Cover. Warum dieser Minimalismus?
Dirk von Lowtzow: Wir haben ein Album über die Liebe gemacht, und da wollten wir nicht so überdeutlich werden. Auf das rote Cover auch noch eine Zeile zu setzen – das wäre zu platt gewesen. Wir lassen die Dinge lieber in der Schwebe.
Ihr habt wieder ein Konzeptalbum gemacht – alles ist durchkomponiert, bis hin zur Covergestaltung.
Jan Müller
: Stimmt, und das ist ein Charakteristikum unserer Band. Wir waren ja ganz am Anfang eine Art Fake-Firma. Es gab Ideen, Konzepte und eine Corporate Identity, aber noch keinen einzigen Song.
Ein großes Thema des Albums ist neben der Liebe auch Eskapismus, die Flucht aus den Verhältnissen. "Kannst Du mich verstecken / damit ich leben kann" heißt es im Lied "Unter deiner Decke".
Lowtzow: Flucht an sich ist eine schöne Idee. Flucht in Verbindung mit Ungehorsam, mit Auflehnung gegen eine bestimmte Form von Autorität. Mit dem Wort Eskapismus kann ich persönlich nicht viel anfangen. Das ist so ein steifes K-Gruppen-Wort, das hat so eine belehrend, negativ-kritische Konnotation für mich.
Im Gegensatz zu früheren Alben wirken die neuen Songs weniger theorielastig, sie sind weicher und poetischer.
Müller
: Poesie war uns wichtig auf diesem Album, und ich glaube, darin liegt in der Tat ein Unterschied zu den letzten Platten. Dort waren wir teilweise sehr konkret in unseren Texten. Mein Gefühl war: Das müssen wir ändern, sonst wird es langweilig.
Lowtzow
: Die letzte Platte war opulent. 17 Stücke, das hatte schon fast das Format eines Doppelalbums. Es war sehr diskursiv und überbordend, zudem stark von Theorie geprägt. In uns wuchs der Wunsch, es dieses Mal anders zu machen: Das Thema Liebe eben nicht diskursiv einzukreisen, sondern bildhaft zu fassen. Das erfordert Mut – man kann sich nicht mehr hinter Schlagworten verstecken.
Anderseits wurdet ihr lange Zeit verehrt für das Konkrete, mitunter Sloganhafte eurer Texte.
Müller: Wir wollen darauf nicht reduziert werden. Man muss eine Insel verlassen, auch wenn es gerade so schön bequem darauf ist. Die Gefahr ist sonst zu groß, zum Dienstleister zu werden und nur noch eine Erwartungshaltung beim Publikum zu bedienen, die man selbst erzeugt hat. Wenn ich heute schon wüsste, wie in drei Jahren unser nächstes Album klingt: Das würde mir jeden Spaß nehmen, das wäre lähmend. Einfach schlimm.
Habt ihr das Gefühl, dass euer Publikum die vielen neuen Wege mitgegangen ist, die ihr in den vergangenen Jahren beschritten habt?
Müller
: Wir haben unserem Publikum viel zugemutet, und ich bin erstaunt, um wieviele Ecken und auf wieviele verschlungene Pfade es uns gefolgt ist. Andererseits: Wir sind ja nicht die einzige Band, die sich wandelt. Alle Bands, die mich persönlich interessieren, tun das.
Wie läuft so ein Schaffensprozess ab bei euch? Wie entsteht ein neues Album?
Müller: Das fängt mit der kritischen Auseinandersetzung mit der jeweils letzten Platte an. Wenn eine Platte fertig ist, hat man zunächst ein gutes Gefühl. Es gibt positive Rückmeldungen – alles ok. Mit etwas Abstand aber kommen dann die Zweifel: War das jetzt wirklich alles gut?
Lowtzow: Eine neue Platte ist bei uns oft die Korrektur der vorangegangenen. Das hat mitunter etwas Zwanghaftes bei uns. Man will das nicht so stehen lassen und möchte es komplettieren. Auch das war bei uns schon früh angelegt: Nach unserer ersten Platte "Digital ist besser" 1995 folgte schon ein halbes Jahr später "Nach der verlorenen Zeit". Das war eine Art Fußnote zum Debütalbum, und wieder ein halbes Jahr später erschien "Wir kommen um uns zu beschweren".
Macht das eigentlich Spaß: diese permanenten Selbsthäutungen?
Müller
: Das sind mitunter schmerzhafte Prozesse. Anstrengend auf jeden Fall. Es haben sich im Laufe der Zeit Mechanismen eingeprägt, wie man Texte schreibt und Musik macht. Da muss man sehr achtsam sein und versuchen, etwas wirklich Neues zu schaffen. Ohne Routinen und mit dem Risiko zu scheitern.
Fällt euch das Musikmachen deshalb heute schwerer? Ihr habt eine lange Geschichte, es gibt euch seit 1993, und da ist es sicherlich nicht leicht, immer wieder einzigartig und besonders zu klingen.
Lowtzow: Beim Texten gibt es schon die Gefahr, sich zu wiederholen. Ich merke das manchmal gar nicht. Jan hat da ein besseres Gedächtnis und sagt dann: "Klingt gut, aber das hatten wir leider schon mal."
Müller: Kein Wunder bei 180 Songs, die im Laufe der Jahre entstanden sind.
Wiederholungen können auch charmant sein, als Quer- und Rückverweise aufs eigene Werk.
Lowtzow
: Klar, Wiederholungen sind gar nicht zu vermeiden, man bewegt sich in einem bestimmten Kosmos, den man selbst geschaffen hat. Trotzdem wollen wir vermeiden, uns selbst zu kopieren. Wiederholungen sind kein Verbot, aber auch kein Konstruktionsprinzip unserer Songs.
Ihr habt angefangen als kleine Band, da wart ihr Anfang 20. Heute seid ihr alle hauptberuflich Musiker – und mit Anfang 40 vielleicht zu alt, um ins sogenannte normale Berufsleben zu wechseln. Habt ihr euch bewusst für den Beruf des Popmusikers entschieden?
Lowtzow
: Ich würde sogar sagen, dass wir diesen Beruf richtig gelernt haben. Ich war 22, hatte zuvor Zivildienst gemacht, und habe mich dann da reingearbeitet mit Jan und Arne (Arne Zank, Schlagzeuger, Anmerk. der Redaktion).
Müller
: Vor zehn Jahren habe ich sehr mit diesem Job gehadert. Da lautete die Frage: War's das jetzt, oder mache ich nochmal etwas komplett Neues? Mittlerweile habe ich ein klares Gefühl dazu. Ich empfinde es als großes Glück, Teil dieser Band zu sein und habe den Ehrgeiz, die Geschichte weiter am Laufen zu halten.