Dr. Elinor Greenberg ist Psychotherapeutin und lehrt vor allem die Diagnose und Behandlung von narzisstischer Persönlichkeitsstörung, Borderline und Paranoider Schizophrenie. Als sie anfing auf Google zu recherchieren, was über Narzissmus so geschrieben würde, sei dabei ganz schön viel Unfug herumgekommen, schreibt sie auf "Psychology Today". Menschen ohne entsprechende Ausbildung bezeichneten alle möglichen toxischen Expartner, Freunde und Eltern als Narzissten, "ohne wirklich eine klare Vorstellung davon zu haben, was diese Diagnose eigentlich bedeutet", meint die Psychologin. Die Darstellung von Narzissten sei dabei so unrealistisch und übertrieben, dass man meinen könnte, man habe es mit dem Bösewicht aus einem Comic zu tun.
In ihrem Fachartikel möchte die Therapeutin mit Missverständnissen aufräumen, die über Narzissten im Internet kursieren. Dazu gehören Sätze wie "Narzissten sind allesamt böse Dämonen, die sich an empathischen Menschen vergreifen, um deren Leben zu ruinieren", "Man kann einem Narzissten nicht widerstehen, denn sie sind alle unglaublich selbstbewusst, sexy und Meister im Manipulieren oder dass man Narzissten nicht therapieren könne.
Die Wahrheit über Narzissten
Die Wahrheit sei viel trauriger und einfacher, meint Greenberg. "Narzissten sind Menschen, denen es an Empathie mangelt, die sich selbst und andere Menschen nicht auf realistische Weise sehen können, die unglaublich egozentrisch sind, Leistung und Status schätzen und sich in ihrer frühen Entwicklung angepasst mussten", konstatiert die Psychologin. Sie überschätzten ihre eigenen Fähigkeiten, idealisierten oder beneideten Menschen, die vermeintlich erfolgreicher seien oder einen höheren Status hätten. Dabei sie werteten jeden ab, der sie kritisiert oder von dem sie glauben, dass er unter ihnen steht. "Ihr Leben ist eine einzige lange Suche nach externer Bestätigung und Perfektion", so Greenberg.
Sieben Mythen über Narzissten
Die Therapeutin ist in ihrer Recherche immer wieder über dieselben Missverständnisse gestoßen, die sie auf "Psychology Today" aufzählt. Warum diese Falschaussagen über Narzissten verbreitet werden, kann sich Greenberg nur damit erklären, dass Menschen immer versuchten, das seltsame Verhalten ihrer Mitmenschen zu verstehen und einzuordnen. Dabei würden sie ihre eigenen Wertvorstellungen als Maßstab nehmen. Der Durchschnittsbürger könne aber gar nicht sehen, welche Probleme dieser sehr komplexen Persönlichkeitsstörung zugrunde liegen. Diese sieben Dinge werden fälschlicherweise über Narzissten verbreitet:
1. Narzissten sind sehr selbstbewusst
Das was als großes Selbstbewusstsein erscheine, sei laut Greenberg eine sehr dünne Mauer und ein Versuch, andere Menschen zu beeindrucken. Dabei wollen Narzissten, das eigene schwankende Selbstwertgefühl stabilisieren und den Selbsthass verdrängen.
2. Narzissten verletzten vorsätzlich alle Menschen
Greenberg schreibt: "Die Realität ist, dass Narzissten sich oft nicht bewusst sind, welchen Schaden sie anrichten. Sie versuchen einfach nur, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen." Die Verletzung sei einfach ein Kollateralschaden und nicht wirklich das Ziel der Betroffenen. Vielmehr versuchten sie stets, ihr eigentlich nicht vorhandenes Selbstwertgefühl aufrecht zu erhalten.
3. Narzissten sind sexuell unmoralisch
"Ich kenne Narzissten, die ihre Partner nie betrügen, und andere, die Lügner sind und zwanghaftes Sexualverhalten an den Tag legen", meint die Psychologin. Eine Generalaussage lässt sich somit nicht treffen.
4. Alle Narzissten sind Meister der Manipulation
"Ich habe zwar ein paar Narzissten getroffen, die großartig darin sind, andere Menschen zu manipulieren, aber sie sind so selten wie gute Schachspieler – und ihnen gar nicht so unähnlich", meint Greenberg. Die meisten ähnelten eher Kindern, die lernen, wie sie von ihren Eltern bekommen können, was sie wollen. Sie nutzten die Bereitschaft der anderen Person aus, ihnen nachzugeben.

5. Alle Narzissten sind vampirähnliche Raubtiere oder Dämonen
Kurzes Fazit der Psychologin: "Narzissten sind Menschen wie du und ich." Einziger Unterschied ist ihre Persönlichkeitsstörung, die sie laut Greenberg dazu veranlasse, unsensibel, wenig empathisch und egozentrisch zu sein. Dadurch wirkten sie besonders selbstsüchtig.
6. Narzissten sind immer böse
Narzissten verhalten sich laut den Aussagen von Greenberg ihren Mitmenschen gegenüber verletzend, seien aber niemals von Grund auf böse. Viele tun sogar Gutes, um ihr Selbstwertgefühl dadurch zu steigern. "Krankenhäuser, Bibliotheken, Kultureinrichtungen und Schulen werden häufig von Narzissten unterstützt. Als Gegenleistung verlangen sie, dass der Krankenhausflügel prominent ihren Namen trägt", schreibt sie. Dieses Beispiel lässt sich zumindest auf die USA übertragen.
7. Narzissten sind charmant
Die meisten Narzissten seien zwar oberflächlich charmant, werden aber schnell langweilig, meint die Therapeutin. Viele seien besonders gut darin, interessante Geschichten zu erzählen, die sie faszinierend klingen lassen. Häufig erwecke das einen guten ersten Eindruck, irgendwann erkenne man aber das Muster dahinter. "Wenn man immer wieder dieselben Geschichten hört und erkennt, dass sie wiederum kein Interesse an einem selbst haben", würde sich dieser Charme schnell abnutzen.
Weder Superhelden noch Bösewichte
Narzissten seien weder Superhelden noch Bösewichte, schreibt Greenberg in ihrem Fazit. "Sie sind gestörte, sehr egozentrische Menschen mit wenig Einfühlungsvermögen und einer Vielzahl anderer Probleme. Sie sind immer damit beschäftigt, ihr wackeliges Selbstwertgefühl zu stützen." Doch ihre Störung verhindere, dass eine erfüllte Beziehung zu anderen Menschen eingehen können.
Quelle:Psychology Today