Hüttenferien im Almdorf "Seinerzeit" Zu schön, um echt zu sein

Von Karin Stawski
Österreichs Hoteliers bauen künstliche Dörfer in die Berge. Der Gast soll sich fühlen wie ein Naturbursche und Almbauer. Alpen-Disney? Ja, schon. Aber trotzdem sehr charmant. Eine Reise nach Kärnten.

Und dann steht da auch noch: "Bei der großen Heidi-Figur abbiegen". War nett gemeint, diese E-Mail mit der Wegbeschreibung aus dem Kärntner Almdorf. Nur wenn man eh schon die Befürchtung hat, in ein Alpen-Disney zu fahren, macht es eine Heidi-Figur nicht besser.

Für "Wahrheit und Authentizität" soll das Dorf stehen, dabei hat es doch ein findiger Geschäftsmann in die Berge gestellt. Ein komplett künstliches Arrangement aus Hütten, Dorfteich, Wirtshaus, genannt "Seinerzeit". Auf dass sich der Gast auf seiner Hütte fühle wie ein Naturbursche im 19. Jahrhundert. Das Dorf war das erste Seiner Art in Österreich. Mittlerweile gibt es gut 40, und das "Seinerzeit" bekommt nun ein Schwesterdorf gleich nebenan.

"Komm, i bring di zur Hüttn"

Irgendetwas muss also dran sein an diesem Trend, wenn er so gut ankommt. Deswegen auf zum Original, mit einem Rucksack voller Vorurteile und einer Frage: Was soll der Schmarrn? Auf 1400 Metern schmiegen sich die Hütten in der Dunkelheit an den Hang. Kleine Lichtpunkte im großen Schwarz.

Tipps

Anreise: Der Flughafen Klagenfurt ist eine Autostunde vom Dorf "Seinerzeit" entfernt, Salzburg ca. 2,5 Stunden. Ins Navi "Falkertsee" eingeben. Lust auf eine Berg-Panoramafahrt? Strecke über die Turracher Höhe wählen. Lieber Autobahn? Dann über den Millstätter See.

Hütten:

Fünf Kategorien, von Almhütte bis Chalet, für je zwei bis vier Personen, ab 380 Euro pro Tag und Hütte inkl. Frühstück und Sauna, www.almdorf.com Tel. 0043/42 75 72 01

Andere Almdörfer:

Lieber nach Tirol als nach Kärnten? Einen kompakten Überblick über mehr als 40 Hüttendörfer in Österreich, von einfach bis luxuriös, bietet www.austria.info

Die nächsten Örtchen liegen etwa drei Kilometer entfernt, unten im Tal und oben am Falkertsee. Sobald der Motor aus ist, wird es still, so still, dass man sich wundert, wie laut der Schnee bei jedem der eigenen Schritte knirscht. Rauchende Schornsteine. Lichtschein aus dem Gasthaus. Dort in der Wärme wartet jemand. "I bin die Uli", sagt die Frau im Janker. "Komm, i bring di zur Hüttn."

Kleine Feldwege verbinden die 28 Hütten und Chalets, vor jedem stapeln sich Holzscheite. Jeder kann selbst hacken, muss er aber nicht, sagt Uli. Es hackt auch gern einer der Hüttenwirte (so heißen im Alpen-Disneyland die Hotelfachleute). Uli drückt die Tür zur Hütte Nummer 15 auf, wo es drinnen in der Stube schon im Ofen knistert.

Statt ihn anzuheizen, kann man auch einfach die Heizung aufdrehen, und wer doch nicht auf einen Fernseher verzichten will, der zieht an einem Strick, dann klappt ein Bild von einer Bäuerin langsam gen Decke. Darunter erscheint ein Bildschirm.

Ein Dorf mit Show-Katzen

Aber besser nicht anschalten, sondern den Soundtrack der Nacht genießen: Das Kaminfeuer knistert, der Teekessel pfeift und - was ist das? Schnell zum Fenster. Tatsächlich, da raufen vor der Hütte zwei Katzen. Wie bestellt. Wie eine Show. Was dem Disneyland die Mickymäuse, sind dem Almdorf anscheinend die Katzen. Schscht, auseinander.

Dann geht man unter den Holzgiebeln zu Bett - mit dem vagen Gefühl, dass es schwierig werden könnte, die Abneigung gegen die künstliche Idylle aufrechtzuerhalten. Verdammt gemütlich hier.

Keine Hirschgeweihe an den Wänden

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück (zu dem eine Katze in die Hütte Gehuscht ist und sich auf die Ofenbank Gelegt hat) wartet Werner Müller im Dorfladen. Auf seiner Visitenkarte steht "Direktor", er nennt sich aber "Gastgeber". Warum so viele Katzen, Herr Müller? Er lächelt. 15 gebe es im Dorf, sie hätten zwei Funktionen: Mäuse wegfangen und das Almdorf verkörpern. "Eine Katze schläft 18 Stunden am Tag. Sie sind ein Beruhigungsfaktor." Er gibt es also zu: Show-Katzen.

Der Direktor ist erst 35, war für Kempinski schon in Dubai, jetzt lebt er mit Familie im Almdorf über dem Gasthaus. Das hier, sagt er, sei eine andere Art von Luxus, und der Mensch sei auf der Suche danach. Die Kärntner-Holzhütten sind nach alter Tradition gebaut. Das Heu für das Heubad im Alm Spa holt der Gruber Franz ein, von einem Hang, so steil, dass man mit einem Bein stehen, mit dem anderen knien muss. Bloß kein Alpen-Disney wolle er sein, sagt Müller, deswegen spare er auch mit Hirschgeweihen an den Wänden. "Eines ist gut, 100 sind es nicht mehr."

Und was ist mit der Heidi-Statue? Die gehöre zur Heidi-Alm oben am Falkert, einem Familienresort. Ah ja, klar, logisch. Und so schmilzt wieder ein großer Brocken Widerstand dahin.

Ein klug gemachtes Luxus-Wellnesshotel

Dann spaziert Müller los durch das Dorf, 1995 wurden die Hütten gebaut, lange bevor sie trendy wurden. Die meisten Gäste kommen aus Deutschland, viele bringen die Skier mit, so mancher lässt sie eingepackt auf dem Dachträger, sauniert lieber im Alm Spa, trinkt Wein in der Gaststätte. Hier bekommt er das, was er will, der gestresste Mensch. In die Natur will er. Aber nicht in die unerbittliche, raue, karge. Ein Best-of-Natur soll es bittschön sein. Gemischt mit einem Best-of-Moderne. Kaltes Quellwasser, das schnell heiß wird, wenn man am Hahn dreht. Ruhe und Abgeschiedenheit, aber mit Wlan.

Wenn man so darüber nachdenkt, im Bademantel in der Nacht, vor der Alm-Sauna sitzend, die Füße im heißen Wasser eines Zubers, den Blick in den Sternenhimmel - wenn man den PR-Schmarrn mit "Wahrheit und Authentizität" ausblendet, dann reift die Erkenntnis, dass das Almdorf nichts anderes ist als ein klug gemachtes Luxus-Wellnesshotel. Dann verdampft das letzte Stück Widerstand mit dem heißen Wasser in die Luft. Dann gibt man auf und genießt. Dann darf man zum Abschied sogar der Heidi-Figur zulächeln und ganz entspannt abbiegen.

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