Interview mit Dr. Tankred Stöbe, Präsident der deutschen Sektion von "Ärzte ohne Grenzen".
Der Notarzt aus Berlin ist seit vergangenem Freitag im Krisengebiet in Pakistan.
Ein Fünftel der Landesfläche steht unter Wasser. Weiß man da überhaupt, wo man mit der Hilfe anfangen soll?
Besonders schlimm ist, dass die Helfer noch immer kein vollständiges Bild von der Lage im Land haben. Immer noch werden Menschen gefunden, die durch das Wasser oder auch durch Erdrutsche abgeschnitten waren von der Umwelt. Außerdem regnet es immer wieder sehr stark. Die Gefahr weiterer Flutwellen ist noch nicht gebannt.
Was sind die größten Probleme?
Viele Menschen haben alles verloren und müssen mit Plastikplanen, Decken, Lebensmitteln und Kochgeschirr versorgt werden. Wir verteilen deshalb Tausende von Notfallpakete. Wichtig ist auch, die Versorgung mit Trinkwasser sicher zu stellen. Viele Brunnen sind geflutet, andere Bohrlöcher funktionieren nicht, weil sie mit Strom oder Gas betrieben werden. Und Strom und Gas gibt es in den betroffenen Gebieten nicht mehr. Wir verteilen Wasser, helfen aber auch, mit Chlor Trinkwasser aufzubereiten.
Sie selbst sind Arzt. Sind viele Menschen schwer krank?
Bislang ist die Situation unter Kontrolle. Aber wir erleben es oft, dass Krankheiten erst nach so einer Katastrophe einsetzen. Viele leiden an Durchfall, weil sie verschmutztes Wasser getrunken haben. Andere haben sich Knochen gebrochen, weil sie von einem Baum oder einem Dach gefallen sind, als sie sich retten wollten. Auch Hautkrankheiten, Atemwegerkrankungen und Wunden sehen wir häufig. Die größte Gefahr bildet die Cholera, die in Pakistan immer mal wieder auftaucht. Sie ist schwer zu erkennen, vor allem, weil man nicht viel Zeit hat. Unbehandelt kann sie schnell tödlich sein, weil die Kranken in kurzer Zeit so viel Flüssigkeit verlieren. Auf eine Epidemie müssen wir vorbereitet sein.
"Ärzte ohne Grenzen" verfügt über mobile Krankenstationen. In welchem Zustand sind denn die Krankenhäuser?
Unterschiedlich. Ich habe zwei Krankenhäuser gesehen, die völlig verschlammt sind. Die müssen erst gesäubert werden, bevor sie wieder zu nutzen sind. In dem Krankenhaus in Peschawar stand das Wasser zwei Meter tief. Alles muss vom Schlamm befreit werden. Die gesamte Infrastruktur ist zusammengebrochen. Viele Straßen sind nicht befahrbar, Telefone funktionieren nicht.
Wie begegnen die Menschen westlichen Hilfsorganisationen?
Die Betroffenen sind sehr dankbar. Ich habe hier nichts anderes erlebt oder gehört. Es gibt keine Berührungsängste. Von ihrer eigenen Regierung fühlen sich die Menschen im Stich gelassen. Wenn wir Hilfsgüter austeilen, müssen wir das vorher genau planen. Einfach verteilen nicht, weil es dabei zu Massenpaniken kommen kann. Wir müssen vorher ein Gelände aussuchen, Eingänge und Ausgänge markieren, registrieren. Die Menschen reißen die Pakete aus den Händen, so groß sind Verzweifelung und Not.
Reicht die bisher geleistete Hilfe aus?
Naturkatastrophen wie das Erdbeben in Haiti oder der Tsunami in Südostasien sind Weltkatastrophen von unglaublichem Ausmaß. Millionen Menschen werden Opfer, völlig unverschuldet. Manche haben alles verloren, sie stehen noch völlig unter Schock. Das Ausmaß der Flut ist gigantisch. Viele Hilfsorganisationen sind bereits im Einsatz, auch lokale Nichtregierungsorganisationen, die tolle Arbeit leisten. Aber das alles reicht nicht, um die große Not zu lindern. Es muss auf jeden Fall mehr passieren. Der Aufbau wird Jahre dauern.
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