Eine Investition in Aktien hat sich in Deutschland 2005 so gelohnt wie seit Jahren nicht mehr - und auch für das kommende Jahr sind die Börsenexperten optimistisch gestimmt. Dennoch zeigen sich viele Anleger weiterhin skeptisch und investieren trotz der niedrigen Zinsen lieber in Rentenfonds. Und obwohl die Finanzierung über Kredite so billig wie nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte ist, trauen sich andererseits wieder mehr Unternehmen auf das Börsenparkett, um Kapital aufzunehmen. Knapp unter 20 waren es bis Dezember, darunter so prominente Namen wie der Bezahlfernsehsender Premiere und die Baumarktkette Praktiker.
Seit Jahresbeginn legte der wichtigste Aktienindex DAX um fast 25 Prozent zu - 2004 waren es nur gut sieben Prozent - und mit 5300 Punkten erklomm der Leitindex zeitweise den höchsten Stand seit April 2002. Der Index MDAX der mittelgroßen Unternehmen erreichte sogar ein Rekordhoch. Trotzdem zogen die Investoren bis Ende September laut der Statistik des Branchenverbands netto Gelder aus Aktienfonds ab, während sich die vergleichsweise risikoarmen Rentenfonds phänomenaler Zuwächse erfreuten.
"Gerade der deutsche Aktienmarkt hat noch Luft nach oben"
Für Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut in Frankfurt ist diese Entwicklung "betrüblich": Viele Privatanleger neigten immer noch dazu, erst dann zu kaufen, wenn die Papiere schon sehr teuer sind. Auf mittlere Sicht rechnet Leven im Jahresschnitt mit Kurssteigerungen von acht bis zehn Prozent. "Man darf sich von Schwankungen nicht nervös machen lassen."
Analyst Johannes Reich vom Bankhaus Metzler erwartet auch für 2006 anziehende Kurse: "Gerade der deutsche Aktienmarkt hat noch Luft nach oben." Die Konzerne verzeichneten auch auf Grund ihrer massiven Restrukturierungen steigende Gewinne und profitierten beim Export von der weiterhin robusten Weltkonjunktur. Allerdings müssten Anleger angesichts von Risiken wie zum Beispiel dem überhitzten Immobilienmarkt in den USA auch dann auf der Hut sein, wenn die Experten noch keinen Alarm schlagen. "Je häufiger vor einer Gefahr gewarnt wird, desto geringer ist sie", erläutert Reich. Mit größeren Turbulenzen rechne er aber nach derzeitigem Stand nicht.
2005 - das Jahr der Deutschen Börse
Angeführt von Premiere, dem Triebwerke-Hersteller MTU Aero Engines und Praktiker wagten 2005 eine Reihe größerer und mittelständischer Firmen den Schritt an die Börse. Zu einem Mini-Trend entwickelten sich die erfolgreichen Börsengänge von Solarunternehmen wie Q-Cells und ErSol. Die Deutsche Börse erfand mit dem "Entry Standard" eine Art Nachfolger des Neuen Marktes, der kleinen und mittleren Unternehmen einen einfachen, preisgünstigen Weg an den Kapitalmarkt eröffnen soll. Die Firma Design Bau, ein Dienstleister für Bauherren, entschied sich als erste für das neue Segment. "Der Entry Standard ist für den Profi gemacht", betont Aktieninstitut-Experte Leven. Anleger sollten sich bewusst sein, dass sie mit einer Investition in dort notierte Unternehmen, die nur wenig Einblick in ihre Geschäftszahlen bieten müssen, ein hohes Risiko eingehen.
Schließlich war 2005 auch das Jahr der Deutschen Börse selbst. Die Übernahme der London Stock Exchange (LSE) scheiterte, weil so genannte Hedge Fonds, die sich als Großaktionäre bei der Deutschen Börse eingekauft hatten, den Kaufpreis für zu teuer hielten. Börsenchef Werner Seifert musste seinen Hut nehmen und wurde erst ein halbes Jahr später durch Reto Francioni, bis dato Chef der Schweizer Börse, ersetzt. Seitdem ranken sich etliche Legenden um Seifert, der als einer der ungewöhnlichsten deutschen Unternehmenschefs galt. Ein Enthüllungsbuch über die Invasion der Hedge Fonds ist angekündigt, und der Hobby-Jazzer soll sich Gerüchten zufolge in ein irisches Fischerdorf fernab vom Börsenparkett zurückgezogen haben.
Alexander Missal/DPA