GESPERRT! Konsequenzen der Finanzkrise "Wir brauchen ein Update für den Kapitalismus"

Die Finanzkrise zeigt: Unbegrenztes Wachstum funktioniert nicht. Für die Natur gilt das erst recht, sagt der Umweltforscher Wolfgang Sachs vom Wuppertal Institut. Seine Forderung: Wir dürfen nicht länger mehr verbrauchen, als die Erde uns bietet.

Herr Professor Sachs, was für ein Auto fahren Sie?

Ich besitze kein Auto, obwohl ich gern fahre. Aber ich habe mir meine Wohnung immer so gewählt, dass ich kein Auto brauche.

In Ihrer neuen Studie beschwören Sie die Schönheit des Kleinen, Feinen, Smarten.

"Small is beautiful" ist derzeit technischer Trend. Und der kommt der Tatsache entgegen, dass wir uns Verschwendung sowieso nicht mehr leisten können. Die Menschheit lebt auf zu großem Fuß. Wir verbrauchen in einem Jahr so viele fossile Energieträger, wie die Erde innerhalb einer Million Jahre gebildet hat. Wir sind bei "Peak Oil" angekommen: Die Förderung von Erdöl hat den Scheitelpunkt erreicht, und in über der Hälfte der Produktionsländer ist das Maximum bereits überschritten. Allein zwischen 1960 und 2000 hat sich der ökologische Fußabdruck der Menschheit fast verdoppelt.

Was haben wir uns darunter vorzustellen?

Das ist die Fläche, die notwendig ist, um den Lebensstil eines Menschen mit all seinen Bedürfnissen und Emissionen zu sichern. Sie ist allein zwischen 1960 und 2000 um 80 Prozent gewachsen und beträgt jetzt für jeden Menschen auf der Erde im Schnitt 2,2 Hektar. Die Deutschen verbrauchen sogar 4,8 Hektar. Dabei stehen nur 1,7 Hektar zur Verfügung. Das heißt: Wir leben auf Pump, wir verbrauchen zurzeit den Gegenwert von 1,3 Planeten. Dass da etwas schiefläuft, liegt auf der Hand.

Gerade bricht der Finanzmarkt zusammen, da kommen Sie mit Ökologie. Haben wir jetzt nicht andere Sorgen?

Mit dem Bankencrash ist die Selbstlüge in sich zusammengefallen, man könne endlos über seine Verhältnisse leben. Doch mit der Natur machen wir das immer noch, und zwar in ungleich größerem Umfang. Die Wall Street mag in den vergangenen Wochen ein bis eineinhalb Billionen Dollar verloren haben, aber allein der Schwund der Wälder auf unserem Globus kostet uns zwei bis fünf Billionen Dollar, und zwar Jahr für Jahr.

Wie kommen Sie auf diese riesige Summe?

Die haben Banker für eine Studie der EU errechnet, indem sie den Verlust von Grundwasser, Artenvielfalt und Atemluft als "Naturkapital" veranschlagt haben.

Was also muss passieren?

Was wir benötigen, ist ein Zivilisationswandel. Durch unseren Zwang zu ungebremstem Wirtschaftlichem Wachstum fahren wir den Globus wie mit einem falsch eingestellten Autopiloten gegen die Wand. Die Alarmzeichen häufen sich: Die weltweiten Waldbestände sind im Industriezeitalter um 40 Prozent zurückgegangen, der Ertrag des Fischfangs ist in Teilen der Ozeane auf ein Zehntel geschrumpft, und ein Fünftel der Weltbevölkerung verbraucht die Hälfte der globalen Energieressourcen. Wir müssen uns so einschränken, dass die Natur sich regenerieren kann.

Sie fordern den großen Verzicht?

Wer verzichtet denn auf was? Wenn Sie sperrige Offroader auf der Fahrbahn haben, verzichten Sie zwangsläufig auf Platz für eine größere Zahl kleinerer Fahrzeuge. Wenn Sie insgesamt 46 Millionen Autos auf den deutschen Straßen haben, zehn Prozent Zunahme in zehn Jahren, verzichten Sie auf ruhige Städte mit sauberer Atemluft. Auch der gegenwärtige Wachstumswahn erfordert doch Einschränkungen! Und reicht nicht ein einfaches und sparsames Auto, um Sie von A nach B zu transportieren?

Die Realität auf unseren Autobahnen sieht anders aus. VW Lupos sieht man da eher selten, dafür umso mehr dicke BMW und Audis.

Ich bin überzeugt, dass es einen Wertewandel geben wird. So wie Ihr Laptop und Ihr Handy immer kleiner werden, wird es bald schick sein, ein kleines, besonders sparsames Automobil zu fahren. Der globale Treibstoffbedarf wird sich nicht aus Biosprit decken lassen. Gegenwärtig brauchte man dafür 850 Millionen Hektar - etwa die Fläche, die in Entwicklungsländern zurzeit für den Anbau von Nahrung und Fasern genutzt wird.

Und mit unserem Sparmobil sollen wir dann übers Wochenende nach Paris oder Kopenhagen fahren, statt zu fliegen?

Solche Kurztrips sind sowieso bizarr, da sind wir der Propaganda der Billigflieger auf den Leim gegangen. Der Boom der Billigflüge, die national schon 25 Prozent des Flugverkehrs ausmachen, ist jedenfalls ein typischer Fall von Markt- sowie Politikversagen: Als sich die Klimakrise längst ankündigte, wurden neue Bedürfnisse geweckt. Obwohl die modernen Turbinen weniger Kerosin verbrauchen, haben sich Dreck und Schadstoffe in der Luft seit 1990 verdoppelt. In Zukunft wird man wohl die Zahl der Starts und Landungen auf den Flughäfen deckeln müssen.

Der Staat soll es also nicht nur bei den Banken, sondern auch beim Umweltschutz richten? Da wird die Wirtschaft sich bedanken.

Es führt aber kein Weg daran vorbei. Eine wirksame Bankaufsicht hätte ja auch den Finanzkollaps verhindern können. Wir brauchen ein Update für den Kapitalismus, ein neues Betriebssystem, das einen ökologischen Umbau ermöglicht. Die Politik ist in den vergangenen 15 Jahren, der Hochzeit des Neoliberalismus, immer weiter aus der Wirtschaft zurückgedrängt worden. Der Staat muss wieder Leitplanken setzen, so, wie er es gerade mit seinem Rettungsprogramm für die Banken vormacht. Er muss Mengengrenzen für die Naturnutzung festlegen. Der Kapitalismus muss akzeptieren, dass es Leitlinien für die Produktion und den Konsum gibt. Gemeinwohl vor Markt - anders geht es nicht.

Das klingt nach Planwirtschaft - und die gilt spätestens seit 1989 als gescheitert.

Was wir benötigen, ist natürlich kein aufgewärmter Sozialismus, sondern ein aufgeklärter Kapitalismus, der mit Intelligenz, Effizienz und Eleganz produziert. Dafür sind finanzielle Anreize, aber sicher auch Verbote nötig, wenn wir Güter wie Boden, Luft und Wasser so nutzen wollen, dass sie sich regenerieren. Wir haben längst Rezepte, um aus einer Gesellschaft, die laufend 6500 Watt Energie pro Kopf verbraucht, eine 2000-Watt-Gesellschaft zu machen.

Welche?

Einen Mix aus weniger Verbrauch, sparsameren Geräten und Tausenden von Kleinstkraftwerken mit Kraft-Wärme-Koppelung, die Strom mit Wasser, Sonne und Wind produzieren.

Und das soll reichen? Bisher stammen nur 14 Prozent des Stroms in Deutschland aus regenerativen Quellen.

Mitte der 90er Jahre waren es noch nicht mal fünf Prozent, und die Tendenz ist weiter steigend …

… das sind zehn Prozentpunkte in über zehn Jahren, das ist nicht gerade rasant.

Aber wir machen doch riesige Fortschritte! Die ersten Windradbetreiber galten noch als atomfeindliche Spinner, heute gilt unser Gesetz über Erneuerbare Energien weltweit als Vorbild. Vielleicht werden wir in einigen Jahren Solarkraftwerke in der Sahara bauen, die Strom durch neuartige Leitungen nach Europa transportieren, die Technologie gibt es schon. Die Energie der Sonne, die wir hier auf der Erde nutzen können, ist 3000-mal so groß wie der derzeitige jährliche Weltenergieverbrauch.

Das hört sich an wie Science-Fiction. Was können wir denn heute schon tun?

Zum Beispiel strategisch konsumieren. Es entwickelt sich ja schon so etwas wie eine Moralisierung der Märkte, weil die Leute achtsamer und bewusster werden. Sie bekommen ja schon im Discounter Fair-Trade-Produkte zu angemessenen Preisen, dieser Markt ist im vergangenen Jahr um 47 Prozent gewachsen! Oder nehmen Sie regionale Nahrungsmittel aus natürlichem Landbau: Das hilft Bauern, Felder ohne Pestizide und Kunstdünger zu bestellen. Klar ist, dass wertvolle, regionale Produkte auch teurer sind.

Wenn wir mehr zahlen müssen, wird weniger gekauft.

Na und? Geht es uns denn wirklich so viel besser, weil der Reichtum an Dingen in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen ist? Das Bruttoinlandsprodukt hat sich in den letzten 30 Jahren bei uns verdreifacht, aber empirische Umfragen zeigen immer wieder, dass die Menschen keineswegs zufriedener geworden sind. Was wir wirklich brauchten, wäre ein Wohlstand an Zeit. Gut leben statt viel haben - das müsste doch das Ziel sein.

Sollen wir jetzt alle Aussteiger werden?

Ach was. Es gibt doch schon eine breite Bewegung von unten, die Reformen konkret vorlebt: 100.000 Deutsche machen Carsharing, Stadtteil-Initiativen bauen Null-Energie-Häuser, und in Städten wie Paris fahren 20.000 Leihfahrräder. Natürlich muss der Staat finanzielle Anreize für zukunftsfähige Industrien geben und der Raub-Ökonomie Limits setzen. Die Finanzkrise könnte noch ihr Gutes haben.

Die Krise als Glücksfall?

Immerhin zwingt sie jeden, darüber nachzudenken, ob es nicht höchste Zeit ist, den Kapitalismus zu zivilisieren.

Ist das nicht utopisch?

Der Umschwung beim Rauchen zeigt, was die Politik bewirken kann. Erst gab es nur Warnhinweise auf Tabakpackungen, dann wurde Kinowerbung verboten, schließlich auch die Zigarette im Restaurant. Heute haben wir ein gesellschaftliches Klima, in dem es einfach nicht mehr schick ist, wenn einer raucht. Auch der Boom bei Biowaren beweist, dass immer mehr Menschen zu Veränderungen bereit sind.

Das klingt nach einem langwierigen Prozess.

Klar, wenn ich in ein Bioregal greife, stürme ich keine Barrikade. Aber ich bin ein kleines Rad in einem viel größeren Getriebe, das etwas in die richtige Richtung bewegt.

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Interview: Wolfgang Metzner und Judith Scholter