Zum Schutz von Gesundheit und Umwelt sollen gefährliche Chemikalien in der Europäischen Union künftig nur noch unter scharfen Auflagen in Umlauf kommen. Das Europäische Parlament in Straßburg verabschiedete in erster Lesung eine Verordnung, nach der die Industrie die Unbedenklichkeit von rund 30.000 Stoffen nachweisen muss. Christ- und Sozialdemokraten sprachen von einem ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interessen der Verbraucher und denen der Industrie. Umweltschützer und die Grünen bezeichneten die Vorlage dagegen als zu industriefreundlich. Die Chemieindustrie ihrerseits kritisierte, dass der Parlamentsbeschluss widersprüchlich sei.
Beschluss der EU-Staaten steht aus
Nach der Verordnung zur Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien (REACH) sollen Unternehmen verpflichtet werden, in den nächsten elf Jahren Daten über die Substanzen an eine übergeordnete EU-Chemikalien-Agentur zu liefern. Ein Beschluss der einzelnen EU-Staaten dazu steht noch aus.
Um die Verordnung war in den vergangenen Monaten heftig gestritten worden. Die Chemiebranche befürchtet vor allem bei kleineren und mittleren Betrieben den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze. In der Parlamentsvorlage sind deshalb Zugeständnisse an die Industrie enthalten. So sollen für Substanzen, die lediglich in einer Menge bis zehn Tonnen pro Jahr produziert werden, nur dann Daten übermittelt werden, wenn die Stoffe potenziell Krebs erregend sind.
Kritiker halten dies für zu weit gehend, weil von den 30.000 zu registrierenden Stoffen zwischen 17.500 und 20.000 in einer Menge bis zu zehn Tonnen produziert werden. Das Parlament weichte auch die Anforderungen für Stoffe auf, deren Jahresproduktion bis zu 100 Tonnen beträgt. Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission sah keine Ausnahmen vor. EU-Industriekommissar Günter Verheugen begrüßte die Parlamentsvorlage als guten Kompromiss.
Laut Parlament bewegen sich die Kosten für die Industrie pro Stoff je nach Datenmenge zwischen 20.000 und 400.000 Euro. Um die Kosten weiter zu senken, sollen Unternehmen gemeinsam einzelne Stoffe registrieren lassen können. Damit soll auch die Zahl von Tierversuchen gesenkt werden.
Der CDU-Abgeordnete Hartmut Nassauer sprach von einem "vernünftigen Ausgleich" zwischen den Interessen des Umwelt- und Verbraucherschutzes einerseits und der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Chemieindustrie andererseits. Der SPD-Abgeordnete Bernhard Rapkay wies darauf hin, dass die Belastungen für kleinere und mittlere Unternehmen wesentlich reduziert worden seien.
Beschluss der Mitgliedstaaten steht aus
Die Grünen-Abgeordnete Hiltrud Breyer warf dem Parlament dagegen einen "Kniefall vor der Chemieindustrie" vor. Positiv bewertete sie aber, dass die Industrie für die gefährlichsten Chemikalien Ersatzstoffe finden soll. Die Autorisierung für diese Stoffe soll deshalb auf fünf Jahre begrenzt werden. Vertreter anderer Fraktionen rechnen allerdings damit, dass dies im weiteren Gesetzgebungsverfahren fällt. Die Umwelt- und Frauenverbände BUND, Greenpeace und WECF kritisierten, dass sich die chemische Industrie weitgehend durchgesetzt habe. Die Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie sprach dagegen von einem "guten Tag für Deutschland und Europa". Der Verband der Chemischen Industrie VCI bemängelte, das Parlament sei "auf halbem Weg stehen geblieben". Die EU-Staaten wollen noch vor Jahresende einen eigenen Beschluss fassen. Rat und Parlament müssen sich auf eine gemeinsame Vorlage verständigen, weshalb mit einer zweiten Lesung gerechnet wird. REACH soll etwa 45 bestehende EU-Richtlinien für die Chemieindustrie ersetzen.