Österreichs Wirte stehen am Pranger: Sie haben sich den Ärger vieler Wirtshausbesucher zugezogen, die bisher kostenlos ein Glas Leitungswasser zu ihrem Essen bestellen konnten. Neuerdings verlangen viele Betriebe aber bis zu 22 Schilling (3 Mark/1,5 Euro) für ein Glas Wasser. Auch die österreichischen Medien haben sich des ausgefallenen Sommerthemas angenommen. »Sturm im kleinen Wasserglas«, titelte die Tageszeitung »Die Presse«. Der »Standard« veröffentlichte eine Glossenserie unter dem Titel »Wassernepp«. Und das Boulevardblatt »Kronen Zeitung« wirft den Gastronomen vor, den »König« Kunden übers Ohr zu hauen.
Sparfüchse gegen Gastwirte
Die Wirte wiederum beklagen sich, dass es bei Einheimischen und Touristen immer populärer geworden sei, an heißen Sommertagen statt eines Glases Biers oder Weins, einen mit Leitungswasser verdünnten Fruchtsaft oder eben gleich nur das kühle Nass aus dem Wasserhahn zu bestellen. Dies stößt bei vielen Wirten auf Ärger, denn das Ausschenken eines Glases Leitungswasser bedeute ebenso viel Aufwand wie bei einem Glas Apfelsaft.
Reiner Toruistennepp
Erboste Gäste berichteten allerdings von schier unglaublichen Erlebnissen rund ums »Glaserl« Leitungswasser. So soll im südlichen Bundesland Kärnten ein Kellner nach der Bestellung eines Glases Leitungswasser den verdutzen Gast ein leeres Glas gebracht und an einen in der Nähe liegenden Gartenschlauch verwiesen haben. Und das mit dem Zusatz, dafür bei der Chefin »nicht verraten« zu werden.
Ertragreiches Geschäft
Streng genommen ist der Verkauf von Leitungswasser in Österreich nur bei ausdrücklicher Erwähnung in der Speisekarte erlaubt. Kaum ein Wirt tut dies allerdings, vor allem um potenzielle Kunden nicht abzuschrecken. Falls die Wirte trotzdem Geld für Leitungswasser verlangen, drohen ihnen Strafen bis zu 20.000 Schilling (2.850 Mark/1.455 Euro). Nach einer kürzlich erschienen Studie machen die Wirte mit dem Verkauf von Leitungswasser ein Bombengeschäft: Die Wiener Wasserwerke verkaufen an ihre Kunden 1.000 Liter Wasser für 18 Schilling. Die Wirte verlangen für dieselbe Menge von ihren durstigen Gästen bis zu 32.000 Schilling.
Schlupfloch bleibt
Die Wiener Wirtschaftskammer versucht nun, die aufgebrachte Öffentlichkeit zu beruhigen. Auch in Zukunft wird das Glas Leitungswasser kostenfrei zur Verfügung stehen, versichert sie. »Das kostenpflichtige Ausschenken von Wasser ist in den 8.000 Restaurants, Kaffeehäusern und Hotels der österreichischen Hauptstadt nicht die Regel, sondern die seltene Ausnahme«, versicherte ein Sprecher der Kammer. Allerdings bleibt den Wirten das gesetzliche Schlupfloch, für ein mit Leitungswasser »aufgespritztes« Getränk genauso viel zu verrechnen, als hätten sie Mineralwasser verwendet.
Jordi Kuhs