Gesundheitswesen Bestechen und bestochen werden

Toilettenbesuche werden als Untersuchungen abgerechnet, klinische Studien gefälscht, Risiken verschwiegen: Korruption im Gesundheitswesen verursacht Schäden und gefährdet die Patienten - das belegt eine neue Studie.

Durch Korruption und Betrug entstehen im Gesundheitssystem jährlich Schäden in Milliardenhöhe. Zu diesem Ergebnis kommt die Antikorruptions-Organisation Transparency International (TI) in ihrem Jahrbuch 2006, das in Berlin vorgestellt wurde.

"Die jährlich entstehenden Verluste werden auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt", teilte die Organisation mit. Die Strukturen im Gesundheitswesen begünstigten illegale Praktiken. Meist bleibe der Abrechnungsbetrug unentdeckt. "Pflichtversicherte sehen nicht, was der Arzt berechnet und bei der Kasse einreicht", kritisierte Anke Martiny von der deutschen Sektion. So habe eine Beamtin beispielsweise nach einer Augenoperation von ihrer Krankenversicherung nur einen Teil der Kosten erstattet bekommen, weil der Arzt der Frau auch "die Erweiterung der Harnröhre des männlichen Gliedes" berechnet hatte. Die Kassen selbst erhielten nur anonymisierte Daten, was eine flächendeckende Kontrolle kaum möglich mache. Weiter berichtet TI von einem Fall, in dem einer Frau - die lediglich die Toilette einer Arztpraxis aufgesucht hatte - die Gesundheitskarte abverlangt wurde. Anschließend habe der Arzt eine Untersuchung auf Grund einer Durchfallerkrankung abgerechnet.

Gefahren durch Medikamentenfälscher

Betroffen sind nach Erkenntnissen von TI viele Sparten der medizinischen Versorgung. Hebammen rechneten Hausbesuche ab, die nicht absolviert würden, Pflegeeinrichtungen stellten technische Prüfungen der Betten in Rechnung, ohne dass diese auch geschehen wären. Auch wiesen sich Krankenhäuser selbst Patienten ein und stellten Diagnosen, die bei der Behandlung der Patienten höhere Vergütungen einbrächten. Gefahren für die Patienten gehen von Medikamentenfälschern aus. In andere Länder gelieferte Arzneien, beispielsweise Spenden für Länder der Dritten Welt, würden umgepackt und landeten wieder in den Apotheken. TI kritisierte auch Missbrauch von niedergelassenen Ärzten. Offenkundig sammelten einige Arztpraxen in großem Stile elektronische Gesundheitskarten bei Vereinen ein und bereicherten sich durch fingierte Abrechnungen.

Zunahme gefälschter klinischer Studien

Der TI-Experte Peter Schönhöfer kritisierte den "korrupten Einfluss der Pharmaindustrie". Nur sieben der etwa 450 neuen, seit 1990 auf den Markt gebrachten Substanzen seien echte Innovationen. Rund 25 könnten als Schrittinnovationen gewertet werden. Der Rest sei ohne relevanten therapeutischen Vorteil. Um diese Produkte zu verkaufen, würden klinische Studien manipuliert und ärztliche Fortbildungen zu Werbezwecken missbraucht. Außerdem werde Ärzten und Apotheken großzügig Rabatt eingeräumt. "Die Pharmaindustrie hat ihre Produkte der Vermarktung angepasst, nicht umgekehrt", so Schönhöfer. Schließlich bringe die Branche Apotheker durch verbotene Zahlungen oder geschenkte Softwareprodukte zum Verkauf bestimmter Produkte.

Zahlung von Rückvergütungen werden an Auftraggeber

Darüber hinaus kritisiert TI den illegalen Handel mit gefälschten Arzneimitteln. Für Krisengebiete gespendete Arzneimittel würden umgepackt und wieder in Apotheken verkauft. Bei der Vergabe von Aufträgen durch Ärzte und Institute an Dritte sei es zudem mittlerweile üblich, dass Rückvergütungen an den Auftraggeber gezahlt würden. Die Organisation forderte den Gesetzgeber auf, Abrechnungsbetrug oder die Schädigung der Solidargemeinschaft als Straftatbestände ins Gesetz zu stellen. Zudem müsse in Deutschland eine "Kultur entstehen, die Korruption im Medizinbereich ächtet". Des weiteren müssten ein Ombudsmann-System und eine Schwarze Liste geschaffen werden. Die Einführung der Gesundheitskarte biete nur einen relativen Schutz vor Betrug. Laut TI gab es bereits einen Fall, in dem schon der Softwareentwickler von der Pharmaindustrie bestochen wurde.

Allein dieses Jahr Betrugsfälle im Wert von über 350.000 Euro

Zur Bekämpfung der Korruption forderte TI wirksamere Maßnahmen. So sollten die Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Kammern professioneller arbeiten. Die Funktionsträger in der Selbstverwaltung, den wissenschaftlichen Einrichtungen und Berufsorganisationen sollten in Korruptionsfällen wie Amtsträger behandelt und dementsprechend hart bestraft werden. Finanzielle Verbindungen zwischen Sachverständigen und Sponsoren müssten offen gelegt werden. Auch verlangt TI die Einführung fälschungssicherer Arzneimittelverpackungen, um den illegalen Handeln mit Medikamenten einzudämmen.

Die Kaufmännische Krankenkasse KKH teilte mit, sie habe in den ersten vier Monaten diesen Jahres Betrugsfälle im Wert von über 350.000 Euro aufgedeckt. Im vergangenen Jahr habe die KKH Abrechnungsmanipulationen von rund einer Million Euro festgestellt.

AP
Reurters/AP