Bertelsmann steht heute gut da, denn die meisten der Geschäfte laufen nicht schlecht - und ist dennoch angeschlagen, weil verschuldet bis unters Dach. Bertelsmann kaufte einen Aktionär heraus und zahlt seitdem den Preis dafür, ja nicht an die Börse zu müssen - und ist über seine Genussscheine dennoch börsennotiert.
Es ist diese Halbherzigkeit, die den größten europäischen Medienkonzern bisweilen ausmacht. Am zentralen Sitz in Gütersloh nennt man das Bodenständigkeit: Nicht zu viel riskieren, aber auch nicht allzu schläfrig werden. Noch ein Tänzchen gefällig, ein Walzer vielleicht, und sich im sicheren Rhythmus langsam vorwärts drehen?
Middelhoffs lukrative Träume
Da gab es weiß Gott turbulentere Zeiten. Der frühere Chef Thomas Middelhoff, im Jahr 2002 davongejagt, tanzte auf dem Parkett in so viele Richtungen, dass manches Mal selbst ihm bange gewesen sein dürfte. Der Erwerb der Mehrheit an der RTL-Gruppe: positiv! Der Einstieg bei der Musiktauschbörse Napster: ein Fehler. Dennoch - der Online-Welt, die Bertelsmann heute so zögerlich beschreitet, hat der Konzern viel zu verdanken.
Middelhoff bescherte Bertelsmann mit Investitionen in AOL einst den sagenhaften Gewinn von acht Milliarden Euro. Dafür muss man viele Bücher verschicken in den Clubs des Unternehmens, viele CDs verkaufen und auch viele Magazine wie den stern drucken, der mehrheitlich ebenfalls zu Bertelsmann gehört.
Ein Chef in der Warteschleife
Gunter Thielen, sein Nachfolger, trat an, um den Konzern zu "konsolidieren" - aber eigentlich stand der Konzern finanziell dank der Online-Geschäfte gut da. Zu konsolidieren gab es allenfalls die wirren Geschäftsträume des Vorgängers. Das ist heute geschafft: Thielen hat das Träumen einfach abgeschafft und den Konzern auf den Boden zurückgeholt. Mit TV, Büchern, Zeitschriften, Musik und Medien-Dienstleistungen setzt Bertelsmann im Jahr rund 20 Milliarden Euro um und wächst durch vorsichtige Zukäufe.
Thielen bleibt nun noch ein Jahr an der Spitze, als sein Adjutant der Boss in spe Ostrowski. Ein Chef in Warteposition - wohl auch eine einzigartige Konstruktion in der deutschen Unternehmenskultur.
Rundgang mit Verona Pooth
Ostrowski wird den Kurs Thielens daher erst mal fortschreiben müssen, ob er nun will oder nicht. Wahrscheinlich will er ohnehin. Er kommt aus dem traditionellen Druckgeschäft wie Thielen. Diesen Bereich unter dem Namen Arvato hat er kräftig ausgebaut: Heute betreibt die Sparte auch Call-Center und Adress-Händler, Handy-Auslieferung und Klingelton-Plattformen. Ein beachtlicher Erfolg, der auch Bertelsmann-Patriarchin Liz Mohn nicht verborgen blieb.
Kürzlich führte sie Verona Pooth, geborene Feldbusch, durch ihr Reich in Gütersloh und man erzählt sich, die turmhohen automatisierten Auslieferungslager für Bücher aller Art bei Arvato hätten stark beeindruckt. Ein bisschen hat Ostrowski also noch Zeit, bis er dieses sichere Terrain verlassen muss. Dann aber braucht Bertelsmann neue Ideen - und vielleicht sogar wieder ein paar Träume.