Bodybuilderinnen Ein Pakt aus Wille und Chemie

Von Jan Christoph Wiechmann
Sie trainieren wie besessen. Sie hungern. Sie spritzen sich Hormone. Sie tun alles, um ihren Körper zu bezwingen - endlich unverletzbar sein. Für Bodybuilderinnen ist ihr Sport eine Revanche am Leben, viele kommen aus härtesten Verhältnissen, nicht wenige sind Missbrauchsopfer oder waren drogenabhängig.

Diese Stimmen. Schon ihre Stimmen sind anders. Sie klingen dunkel und rau und manche gar brüchig, wie bei Jungen in der Pubertät. Sie klingen rauchig und schwer und etwas zu alt. Sie klingen ein bisschen wie Johnny Cash. Und diese Haut. Auch ihre Haut ist anders. Sie wirkt grob und ledern und gleichzeitig porös. Es wachsen Pickelkolonien auf dieser Haut und Barthaare am Kinn, und beim genauen Blick sind Stoppeln unter der dicken Schminke zu erkennen, wie ein Weizenfeld im Winter.

Und diese Gesichter. Sie haben Kanten und Spalten, wo sonst die Wangen sind. Sie sind ein Werk der Chemie, geformt aus Steroiden. Sie sind nicht mehr weiblich und noch nicht männlich, sie sind irgendwas dazwischen, im Niemandsland der Geschlechter.

Die Frauen selbst sehen das etwas anders. Sie nennen die Kanten in ihrem Gesicht Konturen und den Bass in der Stimme ein Zeichen von Stärke und ihren monströsen Körper ein Kunstwerk von Schönheit. Sie seien so etwas wie Bildhauer, sagen sie. Sie haben die Gewalt über ihren Körper. Er ist ein Baukasten der Perfektion, ein Schaubild der Anatomie, einige sagen: die Vollendung der Schöpfung.

Der Gehirnnebel

Sie würden jetzt gern ausführlich über ihre Körper reden, aber das mit dem Reden ist in diesen Tagen der inoffiziellen Weltmeisterschaft "Miss Olympia" nicht so einfach. Sie können nicht mal klar denken. Sie haben seit drei Tagen kein Wasser mehr getrunken, damit der Körper noch definierter wirkt. Sie haben ihren Körper gestählt und ihm gleichzeitig die Kalorien verweigert. Es ist kein Zucker mehr da, um ihr Gehirn zu versorgen. "Ich nenne diesen Zustand Gehirnnebel", sagt die Finalistin Rosemary Jennings, "ich kann in den Wochen vorm Wettkampf nicht mehr denken. Da packe ich schon mal die Erdnussbutter in den Kleiderschrank und den Slip in den Kühlschrank." Da wird der Tag zu einem Wabern, und man beginnt zu ahnen, welch düstere Welt man hier betritt.

Sie kennen die Begriffe, die man über sie ausgießt: Mannsfrauen, Freakshow, Monsterweiber. So können nur Außenstehende urteilen, finden sie. Neider. Reporter. Hier drin, in der Arena von Las Vegas, redet keiner so. Hier, unter Tausenden Fans, hören die Frauen nur Komplimente: Welch stählerner Bizeps, wie getunt der Bauch, welch kantiger, scharf geschnittener Quadrizeps. Es klingt ein bisschen wie in einer Autowerkstatt.

Dabei ist es eine bizarre, narzisstische, neurotische Welt. Das sagt der Star der Branche, Lenda Murray, 46. Sie sitzt in einem Hotel in Las Vegas beim Frühstück und starrt auf ein Glas Orangensaft. Sie würde den Orangensaft gern trinken, aber dann wäre ihre Tagesdosis an Kohlenhydraten aufgebraucht. Sie tritt bei dieser WM nicht an, aber die Gewohnheiten sind noch die alten. Da ist so ein Glas Orangensaft ein Angriff auf die Seele.

Kunstmenschen

Murray blickt lange auf das Foto, das der stern von ihr drucken wird. "Ich mag mich nicht", sagt sie, "aber der Fotograf hat uns sehr gut getroffen. So sind wir wirklich." Wie sind sie? "Ich sehe da eine obsessive Frau." Nur obsessiv? "Ich sehe einen Kunstmenschen, etwas sehr Androgynes. Ich habe ja kein Gramm Fett mehr im Gesicht. Ich kann verstehen, dass manche uns für Dragqueens halten." Und dann spricht sie einen Satz, den so manche Bodybuilderin sagen wird in den nächsten Tagen: "Manchmal frage ich mich, warum ich mir das alles antue."

Die Frau, die Lenda Murray beschreibt, lebte 20 Jahre nur fürs Bodybuilding, in einer Art Blase. Sie trainierte wie besessen, vor jedem Wettkampf hungerte sie sich drei Monate lang auf ihr Kampfgewicht herunter und isolierte sich von der Gesellschaft. Sie nahm Entwässerungsmittel, um mehr Konturen zu schaffen, und bekämpfte ihr Körperfett wie einen Staatsfeind. "Frauenkörper müssen über einen gewissen Fettanteil verfügen, um zu funktionieren, aber ich wusste: Für den Titel muss ich diese Grenzen durchbrechen. Ich führte den Kampf Kopf gegen Körper. Am Ende gewann der Körper, und der Kopf blieb auf der Strecke."

Murray genehmigt sich eine Tasse Kaffee mit einem Teelöffel fettarmer Milch. Sie sieht heute gesünder aus als auf dem Foto. Ihr Gesicht ist voller, der Stiernacken geschrumpft, der Mann in ihrem Körper ist wieder verschwunden. "Ich bin seit 18 Monaten nüchtern", sagt sie. "Ich habe 20 Jahre im ständigen Wechsel von Exzessen und Entzug gelebt, da ist der Körper für Süchte prädestiniert. Ich wurde Alkoholikerin. Wir alle neigen zu extremen Verhaltensweisen. Und doch: Ich habe Bodybuilding geliebt. Die Aufmerksamkeit. Die Bewunderung."

Der "Shredded Look"

Wenn man so will, ist Lenda Murray ein Grund, warum sich die Frauen bei der WM dieser Tortur unterziehen. Sie gewann den Miss-Olympia-Wettbewerb achtmal. Sie wurde das erste Idol der Branche, sie fand Sponsoren, sie verdiente 300.000 Dollar im Jahr. Als alle begannen, sich Steroide zu spritzen, um Murray endlich zu schlagen, tat sie es auch. "Ich sah meine Konkurrentinnen und dachte: Das sind Männer. Ich muss da mithalten." Aber dann wuchsen ihnen Gesichtshaare. Und Abszesse. Das Kopfhaar fiel aus. Da hörte sie auf. "Heute wollen die Kampfrichter den 'Shredded Look', wuchtig, sehnig und fettfrei zugleich, der ist nach menschlichem Ermessen kaum mehr zu erreichen."

Beim Finale an diesem Abend sieht man den "Shredded Look". Da stehen 16 Fleischberge in hautengen Bikinis auf der Bühne. Sie haben Oberschenkel wie selbst Gewichtheber nicht. Dicke Aderstränge durchfahren ihre nackten Körper. Riesige Muskelpakete, in die sie die Droge Centanol gespritzt haben, sitzen wie angeklebt auf den Schultern. Ihre Brüste füllt Silikon, weil die Natur die perfekte Symmetrie nie erreichen wird. Da oben stehen Frauen aus aller Welt und allen Schichten, Schulabbrecherinnen und Doktorinnen, eine von ihnen, Betty Pariso, 53, ist schon Großmutter. Im Bodybuilding haben auch Alte eine Siegchance, sagen sie. Und Kleinwüchsige. Und Hässliche. Es ist der Sport, in dem Talent keine Rolle spielt. Der gerechteste Sport. Einer, der nicht diskriminiert.

Die Preisrichter honorieren die muskulösesten und gleichzeitig schlanksten Körper, man kann auch sagen: die am besten gedopten. Sie belohnen nicht Athletik, sondern den besten Pakt aus Wille und Chemie, den Selbstversuch menschlicher Durabilität. Keine stirbt an diesem Abend. Nur eine Teilnehmerin kippt um.

Fünfmal am Tag Fisch

Rosemary Jennings wird Letzte. Sie sitzt am nächsten Morgen in ihrem Hotelzimmer und schimpft. Sie hat zwölf Wochen lang fünfmal am Tag Fisch gegessen. Sie hat ihre Kohlenhydratzufuhr auf ein paar Gemüsebröckchen reduziert. Die Jury fordere das Unmögliche, sagt sie: nicht nur superschlank zu sein, sondern gepellt bis auf die Knochen. Sie ist 45 und weiß nicht, wie lange ihr Körper ihr noch verzeiht.

Frau Jennings trägt große Ohrringe und hohe Absätze, die letzten Merkmale ihrer Weiblichkeit. Ihre Augenbrauen hat sie ersetzt durch einen dunklen Strich, über ihre Stirn erstrecken sich dicke Venen und enden in tiefen Geheimratsecken. Sie sieht traurig aus. Ist sie traurig? "Ich will jedes Mal aufhören, und dann mache ich doch weiter", sagt sie. "Ich bin glücklich mit meiner Figur. Ich habe mir meine Femininität erhalten", sagt sie mit der tiefen Stimme eines Mannes. "Es ist ein Genuss zu sehen, wie sich mein Körper transformiert. Wie weit man ihn pushen kann."

Hört man ihr und den anderen länger zu, wird bald klar: Es geht hier auch um den Sieg des Willens über die Natur. Um die Domestizierung der Triebe. Um eine Revanche am Leben.

Das Unmögliche

Frau Jennings würde jetzt gern ein Glas Wasser trinken, traut sich aber nicht. Trinkt sie jetzt zu viel, schießt das Wasser in die Gelenke und formt sie zu Tennisbällen. Sie könne den Wettkampf nächstes Jahr gewinnen, glaubt sie, aber dafür muss sie sich weiter "herunterarbeiten", von 60 auf 50 Kilo. Sie will ihre gigantischen Oberschenkelmuskeln noch erweitern, um ihre Hüfte schmaler erscheinen zu lassen. Sie will die Schultern "aufpumpen", um oben noch breiter zu wirken. Dafür muss sie anderswo Fett abbauen, und sie weiß nicht, wo noch etwas sitzt. Sie schaut an sich herab. Sie findet kein Fett. Frau Jennings plant das Unmögliche, den Komplettumbau ihres Körpers, und man weiß, woher der Name Bodybuilding kommt.

Ihr Problem ist: Der Sport ist teuer, das Training, die Reisen, allein die illegalen Steroide, Hormonpräparate, Pillen kosten mehrere Tausend Dollar im Monat. Aber das Geld ist knapp, "wir sind nicht vermarktbar", sagt Frau Jennings. Die Siegerin bekommt 30.000 Dollar Preisgeld, die Sechste noch 2000, sie ging leer aus. Ihren guten Job in Manhattan hat sie für ihre Profikarriere aufgegeben. Sie verkauft jetzt ihren Körper im Internet und muss sich nun entschuldigen. Sie hat einen Auftritt.

Am Hotelpool empfängt sie die Bodybuilderin Annie Rivieccio zum Dreh. Auch sie hat es nicht in die Weltspitze geschafft, also macht sie Filme von der Weltspitze. Frau Jennings stellt sich vor die Webkamera und zeigt den Männern für 3,99 Dollar pro Minute ihre Muskeln, und wenn die Männer sie allein haben wollen, nimmt sie 8,99. Die Männer sagen: "Spiel mit deinen Bauchmuskeln, Rose" - und dann spielt sie mit ihren Bauchmuskeln. "Pump deinen Bizeps für mich, Rose" - dann pumpt sie ihren Bizeps. Und wenn sie mehr wollen, zeigt sie ein bisschen mehr und möchte das Interview jetzt lieber beenden, bevor es ans Eingemachte geht.

Der Po muss wie geriffeltes Eisen sein

Zurück bleibt Annie Rivieccio, 46. Sie hat es in diesem Jahr nicht ins Finale geschafft. Sie war den Richtern zu wenig "geschrotet". Ihr Po ist knackig, aber nicht wie geriffeltes Eisen. Er ist fettfrei, aber man kann die einzelnen Muskelfasern nicht sehen. Sie jage ja gern das Ideal, doch das Ideal verändert sich mit jedem Jahr, in dem die Muskelberge wieder wachsen. Sie fragt sich: Wie soll eine Frau aus dem Po ein Waschbrett machen?

Eine eigene Familie hat fast keine dieser Frauen. Schon aus biologischen Gründen ist das nur schwer möglich. Der niedrige Körperfettanteil bringt den Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht. Die Einnahme von Testosteron verhindert die Menstruation. "Und es ist ein egozentrisches Leben", sagt Rivieccio. "Es geht um mich, mich, mich, da ist kein Platz für ein Kind."

Sie redet, wie die meisten, in klugen Sätzen über sich. Manchmal wirken die Interviews wie Hilfeschreie. Nur wenn es um Doping geht, kommen sie ins Stocken. "Ich nehme das Zeug, versuche aber die Balance zu halten", sagt sie. "Die Steroide sind illegal, aber ich habe ja kein Lager zu Hause." Es müsste mal einer auspacken, hofft sie, aber sie wolle das nicht übernehmen.

Der eigene Verfall

Vickie Nixon, 47, trifft sich zum Interview auf einem verwaisten Parkplatz am Rand der Industriestadt Wilmington. Sie ist Profi, seit 23 Jahren im Geschäft und will reden. Alles mal loswerden. Sie hat Freunde sterben sehen in diesem Geschäft, meist an Herzinfarkten. Sie hat ihren eigenen Verfall erlebt, sie war auf der "dunklen Seite", wie sie sagt, einer dunklen Seite.

Nixon begann Bodybuilding mit Anfang 20. Es gab ihr Halt, sagt sie, als sie aus einer Kokainsucht kam, es habe ihr das Leben gerettet. "Viele von uns sind Opfer von Gewalt und Missbrauch, da ist Bodybuilding wie eine Therapie. Es gibt uns ein Ziel, eine ständige Beschäftigung." Aber der Sport hat auch seine Opfer gefordert. Nixon verlor ihre Freunde, weil sie keine Zeit mehr hatte. Sie sagte die Hochzeit ihres Bruders ab, weil sie Angst vor dem Festmahl hatte. Ihr ist der Knorpel im Knie verschlissen, weil sie zu schwere Gewichte stemmte. Sie sei ein körperliches Wrack, sagt sie, aber sie trainiere noch immer, jeden Tag, jeden Muskel. "Ich werde es bis an mein Lebensende machen", sagt sie. "Ich ertrage die Rundungen nicht."

Vickie Nixon muss schnell etwas essen. Ihr gehen die Gedanken aus. Sie trägt ihr Diätessen in Behältern mit sich herum. Sie muss alle zwei Stunden essen, sie kocht für drei Tage vor, sie zählt die Kalorien, es ist kein Sport, sondern eine Fulltime-Beschäftigung, sagt sie. Aber irgendwann, als die "Monsterfrauen" anrollten, stieg sie aus. Sie kam beim Doping nicht mehr hinterher. Die Frauen nahmen Steroide und Wachstumshormone und Testosteron und Enthaarungsmittel gegen die Folgen von Testosteron und Fettverbrenner gegen das Fett und Entwässerungstabletten gegen das Wasser und Schmerzmittel gegen alles. Sie beschreibt einen Kreislauf der Chemie, der nie durchleuchtet werden wird, weil das Geld für die Kontrollen fehlt und der Wille des Verbandes.

Prostitution fürs Dopingmittel

Nixon betreut heute den Nachwuchs. Sie rät vom Doping ab, aber keine der jungen Bodybuilderinnen hört auf sie. "Schlimmer noch sind die seelischen Folgen", sagt sie. Die Steroide sind so teuer, dass einige Frauen ihren Körper verkaufen. Sie prostituieren sich. Sie nennen das "One on one sessions". Fans geben viel Geld aus, um einmal mit ihrem Idol ins Bett zu gehen. "Wir sind ihr Fetisch. Mir hat einer 5000 Dollar für ein Wochenende geboten, aber ich habe abgelehnt. Ich bin glücklich verheiratet."

Wie viele andere Bodybuilderinnen blickt Vickie Nixon auf ihre Profikarriere und weiß nicht, ob sie diese noch mal so leben würde. Sie blickt mit Abscheu auf diese Welt, aber diese Welt hat ihr auch eine Heimat gegeben. Bodybuilding hat sie erlöst und wieder gefesselt. Geheilt und wieder vergiftet. Zu einer starken Frau gemacht und fast zu einem Mann.

Sie sagt das mit einem Lächeln, aber es liegt viel Schmerz in diesem zerbrechlichen Gesicht auf dem verwaisten Parkplatz von Wilmington, Delaware.

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