Nach der Abstimmung über das umstrittene Rentenpaket steht für Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Freitagabend der nächste heikle Termin an – es geht nach Belgien. Bei einem Abendessen "in privatem Rahmen" will er mit Regierungschef Bart de Wever über die Nutzung des eingefrorenen russischen Vermögens für die Ukraine sprechen, heißt es aus Regierungskreisen. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll mit am Tisch sitzen.
Die EU-Länder diskutieren seit Monaten über die russischen Gelder. Sie werden zum größten Teil in Belgien von der Gesellschaft Euroclear verwaltet. Die EU-Kommission und zahlreiche Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, wollen die Mittel für ein milliardenschweres Reparationsdarlehen an die Ukraine nutzen. Brüssel verweigert bisher seine Zustimmung, weil es rechtliche Konsequenzen und russische Vergeltung fürchtet.
Auf rund 210 Milliarden Euro wird das russische Zentralbankvermögen in der EU geschätzt. Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 hatte Euroclear große Teil der Mittel eingefroren. Mit diesem Schritt untersagten die EU-Staaten jegliche Transaktionen mit den Reserven der russischen Zentralbank und machten sie für Moskau faktisch unzugänglich. Seitdem lagern die Vermögenswerte – größtenteils in Form von Wertpapieren – bei europäischen Finanzinstituten, allen voran Euroclear.
Was macht Euroclear?
Bislang dürfte Euroclear nur wenigen ein Begriff gewesen sein, was auch dem Geschäftsmodell geschuldet ist. Als Anbieter sogenannter Clearingsysteme agiert das Unternehmen im Hintergrund der Finanzindustrie. Das Unternehmen sorgt unter anderem dafür, dass Käufe und Verkäufe von Aktien oder Anleihen sicher und korrekt zwischen Banken abgewickelt werden. Daneben fungiert Euroclear aber auch als Verwahrstelle für Großvermögen, wie eben dem der russischen Zentralbank.
Das Unternehmen entstand bereits 1968, als die US-Bank Morgan Guaranty das "Euroclear System" einrichtete, um das damals explosionsartig wachsende Geschäft mit europäischen Staatsanleihen effizienter abzuwickeln. Aus dieser technischen Lösung wurde im Laufe der Jahrzehnte ein globales Netzwerk: Heute betreibt Euroclear neben der internationalen Zentralverwahrstelle Euroclear Bank mehrere nationale Zentralverwahrer in Ländern wie Frankreich und Großbritannien. Nach eigenen Angaben wickelt Euroclear jährlich über 300 Millionen Transaktionen ab, mit einem Gesamtwert von über 1 Billion Euro. Das verwaltete Gesamtvermögen der rund 3800 Kunden beziffert Euroclear auf über 40 Billionen Euro.
Morddrohungen gegen Euroclear-Chefin
Russlands Zentralbank hatte viele ihrer Reserven schon lange vor dem Krieg in Form von Wertpapieren bei Euroclear und anderen Instituten am globalen Finanzmarkt angelegt. Mit Beginn der EU-Sanktionen 2022 musste der Konzern diese Vermögenswerte nicht nur blockieren, sondern auch buchhalterisch trennen und sichern. Das brachte der Firma hohe operative Belastung ein: Einem Bericht des "Deutschlandfunks" zufolge arbeiten mehr als 200 speziell geschulte Mitarbeiter an der Verwaltung und Sanktionskonformität der russischen Gelder.
An der Spitze des Unternehmens steht seit vergangenem Jahr die 61-jährige Belgierin Valérie Urbain, eine frühere Investmentbankerin und seit mehr als 30 Jahren bei Euroclear tätig. Sie ist wie ihr Unternehmen inzwischen auch persönlich zwischen die Fronten bei der Debatte um die Russland-Milliarden geraten. Laut "Deutschlandfunk" kursieren Berichte über Morddrohungen gegen sie.
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Am Donnerstag schaltete sich sogar Kremlchef Wladimir Putin persönlich ein. Sollte die EU die eingefrorenen Vermögenswerte Russlands tatsächlich übertragen oder verwerten, wäre das "Diebstahl fremden Eigentums", erklärte er öffentlich. Russland betrachte dies als feindlichen Akt und bereite "Gegenmaßnahmen" vor. Welche genau, ließ er offen – eine strategische Unschärfe, die vor allem in Belgien erheblichen Druck erzeugt.
Euroclear-Chefin Urbain und Belgiens Regierungschef Bart de Weve fordern deshalb Sicherheitsgarantien. Beide wollen nicht, dass das Land alle Risiken trägt, weil Euroclear in Belgien sitzt. Alle EU-Mitglieder müssten ihren Beitrag leisten, falls das Geld zurückgezahlt werden müsse oder Sanktionen gegen Belgien erhoben würden.
Zudem müsse jedes Land, das russische Vermögenswerte eingefroren habe, im gleichen Tempo voranschreiten. "Wir wissen, dass es in anderen Ländern, die sich dazu immer ausgeschwiegen haben, riesige Mengen an russischem Geld gibt", sagte de Weve. Dies ist auch ein Grund, warum Bundeskanzler Merz nun auch die Nutzung der Staatsvermögen in anderen EU-Staaten vorschlägt. Ob dies gelingt, könnte sich beim Abendessen zeigen.
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