Wenn Friedrich Merz an diesem Montag nach London aufbricht, wartet auf ihn wieder einmal ein kompliziertes Treffen. Es geht nicht nur darum zu klären, wie Europa in den Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine irgendwie am Tisch bleiben kann. Der Kanzler muss mit seinen Amtskollegen Emmanuel Macron und Keir Starmer auch einen Weg finden, Europa überhaupt zusammenzuhalten. Sicher ist das nicht.
Merz selbst weiß das am besten. Seit Tagen versucht der Kanzler hinter den Kulissen fast schon verzweifelt, den belgischen Premier dazu zu bewegen, endlich den Widerstand gegen den heiklen Plan aufzugeben, das eingefrorene russische Vermögen für Ukraine-Hilfen verwenden zu können. Zudem haben die USA Berlin und Paris dem Vernehmen nach signalisiert, in Sachen Ukraine nicht Brüssel als Ansprechpartner zu sehen, sondern nur noch die sogenannten E3, also Deutschland, Großbritannien und Frankreich.
Eigentlich können Merz, Macron und Starmer sich das nicht vorschreiben lassen. Das Problem ist nur, dass die eigene Verhandlungsposition nur schlechter werden könnte. Merz und die Europäer sind vor allem mit drei Problemen konfrontiert.
Ukraine: Das Geld geht aus
Es ist die Frage dieser Tage: Lässt sich der Plan der EU-Kommission realisieren, eingefrorene russische Vermögen in Höhe von rund 200 Milliarden Euro in ein Reparationsdarlehen für die Ukraine zu verwandeln? Es braucht dringend frisches Geld, spätestens im zweiten Quartal 2026 drohen der Ukraine massive finanzielle Engpässe. Und der Wiederaufbau muss organisiert und bezahlt werden. Das Problem: Belgien wehrt sich, weil der Großteil des eingefrorenen russischen Zentralbankvermögens in Brüssel liegt. Premier Bart De Wever fürchtet die Rache des Kreml und fordert, die Risiken des Manövers auf alle EU-Staaten zu verteilen.
Merz sagte in der vergangenen Woche eigens seinen Antrittsbesuch in Norwegen ab, um mit De Wever und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vertraulich zu sprechen. Von einem konstruktiven Treffen sprach hinterher der Kanzler. Aber eine Lösung zeichnet sich noch immer nicht ab.
Jetzt droht ein Showdown. Bis zum 18. Dezember braucht es eine Einigung. Dann muss der Europäische Rat entscheiden. Scheitert der Darlehens-Plan, wäre das ein Fiasko für Europa, vor allem aber für die Ukraine. "Wir sind in einer absolut entscheidenden Situation für Europa. Es ist ein Schicksalsmoment", warnt Unionsfraktions-Vize Norbert Röttgen im stern. "Wenn wir es nicht schaffen, die russischen Vermögen für die Hilfe der Ukraine zu mobilisieren, hieße das, dass wir zu unserer Selbstbehauptung, zur Verteidigung unserer eigenen Souveränität nicht bereit wären. Das hätte verheerende Konsequenzen für die EU, aber selbstverständlich auch für die Ukraine."
SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic drängt ebenfalls auf eine rasche Einigung zur Verwendung des russischen Vermögens. "Die USA wollen es für sich, Russland will es zurück, die EU hat es als Verhandlungsmasse. Dahinter verbirgt sich eine Chance“, sagt er dem stern.
Die Zeit rennt davon
Auch militärisch läuft die Zeit davon. Gerade läuft es so, wie Wladimir Putin es sich vorstellt. Die Lage an der Front wird schwieriger. Trotz der Verhandlungen im Hintergrund führt Russland seine Angriffe mit unverminderter Härte fort, wohlwissend, dass die Moral der ukrainischen Truppen sinkt und Präsident Wolodymyr Selenskyj wegen eines Korruptionsskandals angeschlagen ist.
Das Dilemma der Europäer: Die bislang kursierenden Vorschläge für ein Ende des Krieges sind weder für die EU noch für die Ukraine akzeptabel. Aber je länger sich die Verhandlungen hinziehen, desto schlechter könnte die Verhandlungsposition werden. "Der Bundeskanzler muss im E3-Format klarmachen, dass es keine einseitigen territorialen Konzessionen der Ukraine geben kann, robuste Sicherheitsgarantien braucht", fordert SPD-Mann Ahmetovic.
In Berliner Regierungskreisen blickt man fast desillusioniert auf die aktuellen Verhandlungen zwischen US-Vertretern und Russland. Kanzler Merz warnte laut "Spiegel" in einer internen Schalte mit anderen Europäern vor "Spielchen" der US-Regierung. Und Putin? Führe notfalls seinen Krieg einfach weiter, heißt es im Merz-Lager. Er wolle unbedingt seine Kriegsziele erreichen – entweder über einen Frieden nach seinem Geschmack. Oder über den militärischen Weg.
Die USA wenden sich ab
Die angespannte Debatte findet in einer Zeit statt, in der die USA sich immer stärker von Europa abzuwenden scheinen. Dass am Wochenende Elon Musk die Abschaffung der EU forderte, weil er sich über Strafen gegen seine Plattform X ärgerte, mag zum üblichen Wahnsinn des US-Milliardärs zählen. Wie sehr die USA Europa aber mittlerweile als ihren Spielball betrachten, zeigt die neue Sicherheitsstrategie der Administration.
Das am Freitag veröffentlichte Papier zeichnet ein sehr düsteres Bild der Lage in Europa und sieht die politische Landschaft in der EU als Bedrohung amerikanischer Interessen. Daher sei "alles andere als klar", ob Europa weiterhin ein verlässlicher Verbündeter bleiben könne. Auch eine aktive Einmischung kündigen die Amerikaner an: Man wolle den "Widerstand gegen den aktuellen Kurs Europas innerhalb der europäischen Nationen kultivieren".
Unter deutschen Außenpolitikerin hat die Sicherheitsstrategie für Entsetzten gesorgt. Die EU werde "zum Objekt US-amerikanischer Machtpolitik“, sagte CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter dem "Tagesspiegel" – und warnte: "Europa läuft Gefahr, Gegenstand von trumpistischen Einflussinteressen zu werden."
Für Kollege Norbert Röttgen ist auch für das Verhältnis zu den USA entscheidend, was aus dem Milliarden-Plan für die Kiew wird. "Der Darlehens-Plan für die Ukraine muss gelingen. Wir brauchen ihn auch, um von den USA wieder ernst genommen zu werden. Trump respektiert einen Pushback der Europäer, aber keinesfalls unsere Schwäche."