Die Hoffnung sei in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängere, das wusste Friedrich Nietzsche, der auch die Umwertung aller Werte forderte. Was beides mit Olaf Scholz zu tun hat? Nun, auch der Bundeskanzler kann wohl nur mit einer gesunden Portion Hoffnung die Qual einer neuen Kanzlerkandidatur auf sich nehmen. Denn dafür müsste er alle aktuellen Umfragewerte auf den Kopf stellen.
Damit dies gelingt, hofft Scholz nicht nur auf Fehler seines Rivalen Friedrich Merz. Nein, er hofft auch auf ein bisschen Frieden. Im Europawahlkampf ließ sich der Sozialdemokrat, der zwar viele Waffen an die Ukraine liefern ließ, dies aber in der Regel nur sehr zögerlich, als Friedenskanzler inszenieren. Das verfing nicht so recht. Aber nun wird selbst in der Ukraine darüber gesprochen, wie mögliche Verhandlungen mit Russland ablaufen könnten. Und wie stände der Kanzler auf einmal da, wenn er sich als Mit-Friedensstifter inszenieren könnte? Als einer, der einen Konflikt beendet, der viele Deutsche – und viele potenzielle Wählerinnen und Wähler – längst ermüdet hat? Wie könnte er damit dem Bündnis Sahra Wagenknecht den Wind aus den Segeln nehmen, vielleicht gar Stimmen von der AfD zurückgewinnen? Daher ist es für den Wahlkämpfer Scholz sehr wichtig, dass diese Woche eine Ukraine-Konferenz in Berlin stattfindet, zu der auch US-Präsident Joe Biden anreist. Es könnte ein letzter Freundschaftsdienst von Biden sein, dem Scholz immer die Treue hielt. Freilich: Mit erfolgreichem Wahlkampf kennt sich Biden nur noch bedingt aus.
Der stern mit großen Gesichtern
Wenn es in der Welt der Sicherheitspolitik (wenig kriegerische) Tauben und (sehr kriegerische) Falken gibt, spielt Anne Applebaum in einer eigenen Kategorie: als eine Art intellektuelle Super-Fälkin. Die Amerikanerin mit ebenfalls feurigem Ehemann (Polens Außenminister Radosław Sikorski, der regelmäßig mehr deutsche Führung anmahnt), hat brillante historische Bücher geschrieben, etwa über den russischen Gulag. Sie fordert vor allem mehr sicherheitspolitische Ehrlichkeit in einer sich rasant verändernden Welt, gerade von Deutschland. "Auch Demokratien können Kriege führen", sagte sie meinen Kollegen Moritz Gathmann und Steffen Gassel; und: "Die Ukrainer fürchten, dass der Westen ihnen in den Rücken fällt." In einer Ecke ihrer Warschauer Wohnung stand eine ukrainische Panzerfaust. Lesen Sie hier das ganze stern-Gespräch mit Applebaum, Prädikat: wuchtig.
Als der stern voriges Jahr seinen 75. Geburtstag feierte, gratulierte "stern TV" mit einer Sondersendung, zu Gast war zum Glück auch Günther Jauch, der lange durch die Sendung geführt hatte und den viele Menschen immer noch für den stern-Chefredakteur halten, womit ich hervorragend leben kann. Jauch hatte mir auch etwas mitzuteilen: In einer stern-Ausgabe sei ein Automodell inkorrekt zugeordnet, falsches Baujahr. Er meinte das ganz sicher ganz freundschaftlich, offenbarte so aber eine gesunde Neigung zur Pedanterie, die bei einem Quizmaster gewiss nicht schaden kann. Seit 25 Jahren moderiert Jauch "Wer wird Millionär?", und seine Schwiegermutter hat ihm einmal gesagt: "Bei dir läuft Gottes großer Zoo auf", also Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Der heute 68-Jährige hat darüber Beliebtheitswerte erlangt, die jeden Bundespräsidenten neidisch machten. Er durfte sogar einem leibhaftigen Altbundespräsidenten, Richard von Weizsäcker, beibringen, warum dieser vermutlich schon früh in der Sendung scheitern würde. Es ist kein Ausdruck von Kollegenneid, wenn man annimmt, dass Jauch nach all den Jahren beim Sender RTL, zu dem auch der stern gehört, selbst nicht mehr nur der gehobenen Mittelschicht angehört. Aber mein Kollege Hannes Roß war überrascht zu hören, dass es zwischen dem Moderator und Sender nur einen Handschlagvertrag gibt und dass sich an den Gehaltsbedingungen seit 23 Jahren nichts geändert hat. Muss der RTL-Betriebsrat sich etwa für Jauch einsetzen?