Dieser Text ist erschienen in dem Stern Sonderheft 01/2022 "Gute Ärzte für mich"
Monika Kellerer muss in den sechsten Stock des Stuttgarter Marienhospitals, ihr Patient wartet im Diabetes-Beratungsraum. Sie nimmt das Treppenhaus, etwa 90 Stufen. Energischer Gang, so eilt die zierliche Ärztin die Treppen hinauf. Rainer Z. erwartet sie, sein Mobiltelefon vor sich, seine Diabetes-App geöffnet. Er leidet seit 20 Jahren an Diabetes und als Folge an einer Polyneuropathie, einer Nervenschädigung. Die Professorin setzt sich neben ihn an den Tisch. Rainer Z. ist Proband einer Studie für ein neues Insulin-Medikament. Er hat seine Krankheit gut im Griff, bis auf wenige Ausnahmen. Vor Kurzem musste er als Notfall in die Klinik. Sieben Espresso an einem Tag, abends noch eine Flasche Champagner mit Freunden, aber kaum etwas gegessen, das Herz machte nicht mehr mit. Die Ärztin nimmt sich Zeit für ihren Patienten. Von Rainer Z. wird noch die Rede sein.
Kellerer, 61, ist Ärztliche Direktorin am Marienhospital, Chefin von 26 Ärzten, sie leitet die Klinik für Innere Medizin I mit 88 Betten: Diabetologie, Endokrinologie, Angiologie, Kardiologie und eine Internistische Intensivstation, die zurzeit wieder Covid-Intensivstation ist. Kellerer saß voriges Jahr als medizinische Expertin am runden Tisch der damaligen Bundesernährungsministerin Julia Klöckner. Die mehrfach ausgezeichnete Ärztin ist auch im Vorstand der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) und war von 2019 bis 2021 deren Präsidentin.
Frau Kellerer, was zeichnet eine gute Ärztin, einen guten Arzt aus?
Man muss Menschen mögen, ihren Hintergrund verstehen, egal, ob sie zur Oberschicht gehören oder auf der Straße leben.
Menschenfreundlichkeit steht für Sie also ganz oben?
Neben den fachlichen Kompetenzen, Belastbarkeit, Teamfähigkeit: ja. Unser Beruf ist nah an der Essenz des Lebens, das kann sehr erfüllend sein. Der Patient vertraut mir, er nimmt an, was ich mit ihm bespreche …
… manchmal auch nicht.
Das ist menschlich, man muss den kranken Menschen mit seinen Schwächen verstehen. Stur nach Lehrbuch vorzugehen hilft nicht weiter, Ungeduld ebenso wenig.
Wie entstand Ihr Interesse an Diabetes?
Anfangs fand ich das Thema langweilig. Ich dachte: Die Ursache ist doch erforscht – hoher Zucker, Punkt. Ich interessierte mich damals für die Entstehung von Krebs und dafür, wie man ihn heilen kann. Während meiner Doktorarbeit in der Onkologie kam ich in Kontakt mit Diabetesforschern, die wollten mich für ihr Team anwerben. Mit diesen Leuten habe ich mich sehr wohl gefühlt, und ich stellte bald fest: Diabetes ist sehr komplex und bei Weitem nicht abschließend erforscht.