Editorial Al Qaedas deutscher Arm

Liebe stern-Leser!

Christian Ganczarski war nichts Besonderes. Von Beruf Emaillierer, aufgewachsen im Ruhrgebiet, abgebrochene Schulausbildung. Anfang 20, mitten in seiner gefühlten Nutzlosigkeit, hatte er sein Erweckungserlebnis durch die Begegnung mit dem Koran. Fanatisch folgte der Konvertit fortan den Regeln seines neuen Glaubens und begann, alle "Ungläubigen" zu hassen. Erst die fanatische Auslegung des Islam bot seinem Leben ein scheinbar sinnvolles Betätigungsfeld. In der kleinen, verschworenen Terroristen-Sekte konnte er sich nützlich machen. Hier spielte er eine wichtige Rolle beim Kampf um die Verwirklichung von bin Ladens wirrer Vision, die Herrschaft über die Gottlosen im Westen zu gewinnen. Seit 1999 folgte Ganczarski der Stimme des Saudis, der schon damals Hunderte Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Obwohl selbst nahezu unsichtbar, hat bin Laden seinen Einfluss in den vergangenen Jahren ausgebaut. Was an seiner wortreich ausgekleideten, aber simplen Ideologie liegt: Nur mit Hilfe des Terrors lässt sich die islamische Welt vom westlichen Wesen reinigen. Diesem viel beschriebenen Missbrauch von Mohammeds friedlicher Religion verfiel auch Christian Ganczarski.

Er soll es gewesen sein, der vom Ruhrgebiet aus ein Attentat auf der Ferieninsel Réunion vorbereitet hatte: Mit Sprengstoff voll gestopfte Modellboote sollten Touristen töten. Dieser Deutsche, gegen den seit April 2002 auch wegen des Anschlags im tunesischen Djerba mit 14 deutschen Todesopfern ermittelt wird, ist eine bislang unterschätzte Figur im Terrornetzwerk al Qaeda: Nach stern-Recherchen hatte er zeitweise Tag und Nacht Zugang zu Osama bin Laden, diente ihm als Materialbeschaffer, Kurier und Freund.

Die Recherchen führten stern-Mitarbeiter Oliver Schröm, Autor mehrerer Bücher über al Qaeda und Terrorismus, nach Frankreich und in die Schweiz. Dort traf er, teils unter konspirativen Umständen, Angehörige verschiedener Geheimdienste. stern-Redakteur Uli Rauss recherchierte in Australien, wie ein dort verurteilter Terrorist Ganczarski in Afghanistan und Pakistan erlebte - an der Seite von bin Laden und Al-QaedaMastermind Chalid Scheich Mohammed. Das stern-Team wertete eine Fülle geheimer Dokumente aus, darunter Dutzende Vernehmungsprotokolle und Tausende E-Mails von einer Computerfestplatte. Sie gehörte dem in Guantánamo festgehaltenen Rekrutierer der Attentäter vom 11. September - einem engen Freund Ganczarskis. Die Duisburger Zelle half überdies, den zuckerkranken bin Laden mit Insulin und per Ferndiagnostik zu betreuen. Schröm und Rauss recherchierten im Ruhrgebiet, gemeinsam mit Gerd Elendt vom Düsseldorfer stern-Büro, die Vergangenheit Ganczarkis und seiner Clique. In Paris sprachen sie mit dem legendären Terroristenjäger Jean-Louis Bruguière. Der hat Ganczarski mittlerweile in Frankreich verhaften lassen und will ihn nächstes Jahr vor Gericht bringen - als den "größten Fisch, der bislang in Europa ins Netz ging".

Lesen Sie den Bericht "Osamas deutscher General" auf Seite 38.

Herzlichst Ihr


Andreas Petzold

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