Editorial Aufstellung für 2009

Liebe stern-Leser!

Mit Wehmut oder Schadenfreude - je nach politischer Position - wird man sich irgendwann an die harmonischen Bilder erinnern: Die Roten und die Schwarzen sinken sich erschöpft, aber erlöst nach mühseligen Koalitionsverhandlungen in die Arme. Ein Vertrag soll ihren angestrengten Willen dokumentieren, das Land in Bewegung zu bringen. Es ist ein Notstandsvertrag, weil beide Koalitionäre 15 Jahre lang das Staatskonto maßlos überzogen haben. Die Mehrwertsteuer wird erhöht, aber leider nicht in Gänze dazu genutzt, die Lohnnebenkosten zu senken. Die Subventionen fallen nur halbherzig weg. Manchmal verschleiern große Worte viel zu kleine Schritte wie beim Investitionsprogramm, und die bleierne, teure Struktur des Gesundheitswesens bleibt unangetastet.

Dennoch steht jetzt ein solider Handwerkskasten mit den bekannten Instrumenten aus beiden Lagern. Aber - ein Patent für mehr Wachstum lässt sich damit nicht anmelden. Trotzdem strotzen die Verhandlungsführer vor Optimismus. Und sie sind ganz berauscht vom neuen Corps-Geist: die große Koalition als Hort der Einigkeit, zugeschüttete Gräben, harmonisches Regierungs-Ballett.

Henri Nannen Preis

Im Mai dieses Jahres haben der stern und der Verlag Gruner + Jahr zum ersten Mal den Henri Nannen Preis für die besten Leistungen im deutschen Journalismus verliehen. Jetzt ist es wieder Zeit, sich zu bewerben: Bis zum 15. Januar können Sie preiswürdige Texte aus dem Jahr 2005 einreichen. Prämiert werden unter anderem die beste Reportage, die beste investigative Leistung, die beste fotografische Arbeit, die verständlichste Darstellung eines komplexen Sachverhalts und die humorvollste Berichterstattung. Alle Infos und Adressen unter www.henri-nannen-preis.de.

Wie lange - das ist die Frage! Natürlich werden sie sich alle ins Zeug legen, und natürlich will das Merkel-Kabinett wirklich etwas bewegen. Denn jeder Minister möchte auf seinem Sessel persönliches Profil erarbeiten. Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass alle Beteiligten nicht auch schon die Bundestagswahl 2009 im Visier haben. Das Rennen um den SPD-Kanzlerkandidaten startet just in diesen Tagen. Als Umweltminister dürfte es Sigmar Gabriel am schwersten haben, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Peer Steinbrück könnte sich als der härteste Haushaltssanierer der Nachkriegsgeschichte ein Denkmal meißeln, was nicht wirklich attraktiv, ist aber enorme Management-Qualitäten abverlangt. Die besten Chancen hat der Neue aus dem brandenburgischen Rückraum, der designierte SPD-Chef Matthias Platzeck. Wenn er seinen bescheidenen, geradlinig-pragmatischen Politikstil beibehält!

Das ist deshalb ein Thema, weil niemand vorher sagen kann, wie lange die Koalition hält. Ob Merkel oder Platzeck zuerst die Reißleine zieht, hängt von zweierlei ab: von einem eventuell verlockenden Vorsprung in den Umfragen, vor allem aber vom Zustand der Republik. Läuft das Unternehmen Schwarz-Rot trotz guten Willens schlecht, stagniert die Wirtschaft, bleiben die Arbeitslosigkeit und das Loch in der Kasse, dann werden beide Seiten mit dem Finger aufeinander zeigen und behaupten: Alleine können wir's besser. Hoffentlich bleiben wir davon verschont, denn verlorene Jahre können wir uns nicht mehr leisten.

Herzlichst Ihr

Andreas Petzold

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