Editorial Ein kundiger Patient weiß sich zu helfen

Liebe stern-Leser!

Die Große Koalition hat eine Chance, Historisches zu leis ten: Wenn sie nicht von der Angst vor der eigenen Courage überwältigt wird oder sich in Parteiegoismen verzettelt, kann sie dem deutschen Gesundheitswesen eine verlässliche Zukunft sichern. Aber dazu braucht es eine echte Reform an Haupt und Gliedern - kein provisorisches Verkitten immer wieder aufbrechender Finanzierungslücken.

Schon 13-mal wurde seit den 70er Jahren gebastelt, korrigiert, hier ein wenig getüncht und dort ein wenig geleimt. Die Kosten stiegen weiter, die Qualität ärztlicher Behandlungen wurde lange Zeit nirgendwo ernsthaft kontrolliert, und die pharmazeutische Industrie häufte satte Gewinne an. Die letzte Gesundheitsreform - sie brachte die Praxisgebühr - liegt zwei Jahre zurück. Sie ging in die richtige Richtung: Patienten wägen genauer ab, ob der Gang zum Arzt nötig ist. Das spart überflüssigen Aufwand und lässt dem Doktor mehr Zeit für die, die ihn wirklich brauchen. Ein neues Institut prüft nun im Auftrag der Regierung, welche Therapien tatsächlich sinnvoll sind oder eher Früchte kreativen Pharmamarketings. Und zum ersten Mal mussten Deutschlands Krankenhäuser im vergangenen Jahr in öffentlich zugänglichen Qualitätsberichten Auskunft über ihre Leistung geben. Wirklich aufschlussreich sind die Angaben noch nicht, aber der erste Schritt hin zu einer Selbstverständlichkeit: Wer zahlt, hat Anspruch darauf, die Qualität der gelieferten Ware kennen und vergleichen zu dürfen. Im Zeitalter des Halbgottes in Weiß galt das noch als unsägliche Lästerung. Doch dieses Zeitalter ist vorbei. Eine wirkliche Reform sollte für alle Bürger eine einheitliche, verlässliche Grundsicherung garantieren. Wer sich etwas hinzukaufen oder hinzuversichern möchte, sollte das tun können.

Ein Beteiligter wird,

wie auch immer die Verhandlungen zur Gesundheitsreform ausgehen, dringender gebraucht werden denn je: der aufgeklärte, mündige Patient. Eigenverantwortung in Krankheitsvorbeugung und in der Therapie ist gefordert. Jeder von uns muss lernen, Notwendiges von Überflüssigem zu unterscheiden und unsere Ärzte nicht mit völliger Ahnungslosigkeit oder absurdem Anspruchsdenken zu plagen. Denn sehr viele machen ihren Job unter den gegebenen Umständen mit großem Einsatz, oft behindert von den Monstrositäten einer uferlosen Bürokratie.

Aber mit der Kommunikation

zwischen Arzt und Patient steht es nicht zum Besten. Missverständnisse sind häufig, die Vorstellungen über die Erwartungen des anderen liegen oft weit daneben. Auch deshalb startet der stern eine neunteilige Serie, die sich mit der Arbeit der Ärzte und unserer Gesundheit befasst. Wie gut ist das, was unsere Ärzte praktizieren? Was muss ich als Patient wissen? Was taugen die Therapien? Der stern stellt in jedem Teil eine ärztliche Fachrichtung vor, von A wie Allgemeinmediziner bis Z wie Zahnarzt. Um darzustellen, welche Methoden die verschiedenen Fachrichtungen bevorzugt anwenden, konnten wir auf Statistiken des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zurückgreifen, mit den Zahlen von 26 Millionen Versicherten einer der größten Daten-bestände im deutschen Gesundheitsdschungel. Dabei standen den Autoren wissenschaftliche Experten zur Seite. Ergänzt wird jeder Teil durch eine grafisch aufwendige Darstellung wichtiger Arbeitsgeräte der Fachrichtung sowie eine neunteilige "Serie in der Serie", in der Sie erfahren, wie sich Patienten am besten zuverlässige Informationen beschaffen können.

Wie auch immer die Verhandlungen der Politik ausgehen - ein kundiger Patient weiß sich am besten zu helfen.

Herzlichst Ihr

Andreas Petzold

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