Endlich haben wir einen Koalitionsvertrag. Und damit fast auch eine neue Regierung. Und der große Macher Friedrich Merz wird neuer Bundeskanzler.
Schwarz-Rot startet unter sehr guten Vorzeichen, allein deshalb, weil in der Überschrift des Vertrages kein falscher Optimismus verbreitet wird, sondern kühle Nüchternheit. Gut ist also in erster Linie das, was man vermeiden konnte. Soweit haben wir die Erwartungen bereits heruntergeschraubt.
Ist das nun ein gutes Zeichen, dass die Ampel auf Worte wie "Fortschrittskoalition" verzichtet hat? Wahrscheinlich schon. Wer weniger verspricht, kann weniger brechen. In einem kleinen Versprecher ließ sich Merz dann doch fast dazu verleiten, mehr zu erzählen, als er erzählen wollte. "Wir wollen ein Land sein, das es einfach wieder besser macht in der Vergangenheit." Und wofür steht Merz mehr als die Vergangenheit? Das Motto des neuen Bündnisses ist dann wohl auch "Zurück in die Zukunft".
Von einem "Befreiungsschlag für Deutschland" sprach Merz dann auch später im "heute journal". Aber was denn jetzt genau? Mit Grenzkontrollen, Steuersenkungen und Abschreibungen für Unternehmen? Keine nötigen Reformen bei Rente, Pflege und Gesundheit. Stattdessen gibt es Arbeitskreise. Man kennt das: noch aus den 1980er-Jahren von den Grünen: „Wenn du nicht mehr weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis.“
Friedrich Merz: Erst harte Hand, und dann ganz weich
Bei Merz´ Lieblingsthema, der Migration, soll es Zurückweisungen an den Grenzen geben, das schon, aber eben in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn. Das klang vor ein paar Wochen aber noch ganz anders, als er sagte, als Kanzler werde er „am ersten Tag das Innenministerium anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren.“ Das ist diese „nur so und nicht anders“-Rhetorik. Nach der Wahl wird daraus die „nur anders, aber nicht so“-Rhetorik. Dann wird aus der harten Hand eine ganz weiche Hand. Das hilft dann vor allem den Populisten.
Und außerdem hat die SPD Friedrich Merz einen Staatsminister für Migration ins Kanzleramt hineinverhandelt. Als Trojaner gewissermaßen.
Der Bürokratieabbau soll dafür ab jetzt sehr schnell vorangehen: Das Lieferkettengesetz fällt weg, die Zahl der Bundesbediensteten sollen um zwei Prozent schrumpfen und ein neues Digitalministerium wachsen. Ein neues Ministerium – und dafür fällt genau kein anderes weg. Das ist Bürokratieabbau in Deutschland. Das Digitalministerium wird als Hauptaufgabe haben, die Faxgeräte vom Netz zu nehmen. Bis das geschafft ist, ist die Legislaturperiode rum.

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Die wichtigste Figur bleibt: Markus Söder
Die wichtigste Figur des Koalitionsvertrages ist aber Markus-„Ich bleibe beim Sie“-Söder, das personifizierte fünfte Rad am Wagen. Während sich zwischen Klingbeil und Merz Duzfreundschaften ergeben haben, hält er das Pathos der Distanz aufrecht. Mit seiner Ironie überdeckt er die latente Arroganz des Laptop-und-Lederhosen-Regimes jenseits der deutsch-bayerischen Grenze. Er wirkt dabei so weit weg vom Rest der Republik, dass man fast schon befürchten muss, dass er bald Strafzölle auf VW-Autos erhebt und Niedersachsen dann mit Zöllen auf BMW antworten wird.
Es war auch Söder, der vom Koalitionspapier als einem Bestseller sprach. Werden diese 144 Seiten wirklich offiziell verlegt, als Buch? Ist das dann Belletristik oder Sachbuch? Wohl eher letzteres: Ein furztrockenes, langweilig geschriebenes Buch ohne eine wirklich originelle These. Obwohl, warte, wenn Ihr Angela Merkel drüberschreibt, könnte es sogar was werden. Und die Einnahmen würden der Regierung reichen, um den nächsten Haushalt zu bestreiten.
Söder war es auch, der am Abend bei Welt TV im Interview sagte, das Bildungsministerium sei ein Mischmasch gewesen – jetzt aber wird es erst Kraut und Rüben, denn nun kommt noch etwas mit Forschung und Raumfahrt dazu. Also ist das Koalitionspapier doch ein Science-Fiction-Roman? Söder isst einen Mars Riegel und glaubt, er wäre schon auf einem anderen Planeten?
Ins Weltall möchte er ja schon lange, seit er 2018 die Bavaria One vorgestellt hat. Söder würde auf jeden Planeten fliegen, auf dem er sicher sein kann, dass es keine Grünen gibt. Da sollte er beim Mars vielleicht vorsichtig sein.
Söder ist ein Verkleidungskünstler. Sein gerade für ein paar Minuten gelebter Humor, sein schnell aufblitzender Sinn für Ironie, sollte seinen Populismus, seine vollkommene Freiheit von Haltungen und Überzeugungen, nicht überdecken. Vor Jahren umarmte er Bäume, heute sagt er, er komme aus der Landwirtschaft.
Jetzt geht es um die Frage, was Union und SPD wirklich umsetzen können. Eine ganze Menge! Allein schon, weil Doro Bär mutmaßlich im Kabinett sein könnte. Aber wird wohl Ministerin für Forschung und Raumfahrt werden. Das macht Hoffnung, dann kann sie sich selbst auf den Mond schießen, mit Söder und der Bavaria One.
Florian Schroeder, geboren 1979, ist Satiriker, Autor und Publizist. Er studierte Germanistik und Philosophie in Freiburg. In der ARD hostete er bis 2023 die Sendungen "Spätschicht", "Die Florian Schroeder Satireshow" und "Schroeder darf alles". Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zum Beispiel "Unter Wahnsinnigen. Warum wir das Böse brauchen." Derzeit ist er mit seinem Bühnenprogramm "Neustart" auf Tour. Seit Juni 2024 hat Schroeder die Kolumne "Kurz und schmerzhaft" auf stern.de.