Umstrittenes Rentenpaket Eine eigene Mehrheit für die Koalition – wie viele Stimmen sind das?

Auf diesen Plätzen wird über die Zukunft des Rentenpakets entschieden
Auf diesen Plätzen wird über die Zukunft des Rentenpakets entschieden
© Achille Abboud / Imago Images
Der Bundestag stimmt heute über das lange umstrittene Rentenpaket ab. Die Koalitionsspitzen setzen auf eine eigene Mehrheit der Koalition. Klingt einfach, ist es aber nicht.

Etwa gegen Mittag ist am heutigen Freitag nach wochenlangen Diskussionen mit einer Abstimmung zum Rentenpaket von Union und SPD zu rechnen – High Noon im Bundestag. Dass sich in dritter und abschließender Lesung eine Mehrheit für den Gesetzentwurf findet, gilt inzwischen als ziemlich sicher. Die Frage ist nur, wie viele Kritiker des Rentenpaketes in der Union am Schluss auch tatsächlich das Nein-Kärtchen in eine der Urnen im Reichstagsgebäude werfen werden.

Bleibt vom Sturm der Entrüstung unter vielen jungen und einigen wirtschaftsnahen Unionsabgeordneten am Ende nur ein laues Lüftchen? Oder wackelt tatsächlich das Gebälk der Koalition und damit die Macht von Kanzler Friedrich Merz? Welches Ergebnis wäre eigentlich ein Erfolg für Merz – und was wäre als peinliche Pleite zu bewerten? Da namentlich abgestimmt wird, lässt sich das Ergebnis am Ende bis ins Kleinste analysieren. Das sind die möglichen Mehrheitsvarianten.

Rentenpaket: Das ist die Kanzlermehrheit

Dieses Abstimmungsergebnis wäre fast ein Triumph für Friedrich Merz: Die Kanzlermehrheit heißt so, weil es die Mehrheit ist, die zur Wahl des Bundeskanzlers erzielt werden muss (und die von Merz bei seiner Wahl im Mai 2025 im ersten Durchgang verfehlt wurde). Sie definiert sich über die Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder des Bundestages. Das Parlament hat derzeit 630 Abgeordnete, die Kanzlermehrheit liegt mithin bei 316 Stimmen. Wenn alle 208 Unions- und alle 120 SPD-Abgeordneten an der Abstimmung teilnehmen, also 328 Parlamentarier der Koalition, dürften höchstens 12 Kritiker des Rentenpaketes nicht für den Gesetzentwurf stimmen, wenn die Kanzlermehrheit trotzdem erreicht werden soll.

Eigene Mehrheit

Die sogenannte eigene Mehrheit ist das vom Kanzler und von den Koalitionsspitzen ausgegebene Ziel. Auch wenn sich Friedrich Merz darüber freuen würde, ist sie nicht gleichzusetzen mit der Kanzlermehrheit.

Die eigene Mehrheit hängt von der Zahl der Abgeordneten ab, die überhaupt an der Abstimmung teilnehmen und mit Ja oder Nein stimmen. Abwesende Abgeordnete werden nicht mitgezählt, Enthaltungen ebenfalls nicht. Das ist der Grund, warum die Ankündigung der Linksfraktion, sich bei der Abstimmung zu enthalten, die Angelegenheit für die Koalition etwas leichter gemacht hat.

Wenn sich tatsächlich alle 64 Abgeordneten der Linken enthalten und ihre Stimmen nicht gezählt werden, muss die Koalition nur noch mehr Stimmen haben als alle anwesenden Abgeordneten der übrigen Oppositionsfraktionen AfD (151) und Grüne (85) zusammen. Stimmen diese 236 Abgeordneten geschlossen gegen das Rentenpaket, braucht die Koalition 237 Stimmen für eine eigene Mehrheit.

Eigene Mehrheit mit Sternchen

Noch schöner als eine profane eigene Mehrheit wegen vieler Enthaltungen der Opposition wäre aus Sicht der Koalition eine eigene Mehrheit, die über der Zahl aller anwesenden Oppositionsabgeordneten läge, also zusammengerechnet denen, die gegen das Paket stimmten, und denen, die sich enthielten. Wenn Schwarz-Rot darüber läge, wäre es gewissermaßen eine eigene Mehrheit mit Sternchen.

Und was ist wahrscheinlich?

Nach der Ankündigung der Linken, sich zu enthalten, ist eine eigene Mehrheit für die Koalition ziemlich sicher, zumal die Zahl der Abweichler bei der Abstimmung am Dienstag in der Fraktion in diversen Berichten auf irgendwo zwischen zehn und 20 Abgeordnete geschätzt wurde. Diese beiden Faktoren haben zu einem gewissen Spannungsabfall geführt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Hinzu kommt, dass die Koalition vermutlich nicht ohne Grund dafür gesorgt hat, dass die Abstimmung erst am Freitagmittag stattfinden wird. Wenn es nicht mehr wirklich um eine Machtprobe geht, hat das erfahrungsgemäß zur Folge, dass vor allem in der Opposition einige Abgeordnete fehlen dürften. Die nehmen dann doch schon den früheren Zug in den Wahlkreis, um am Abend zum Beispiel auf dem Weihnachtsmarkt die Wählerbindung zu stärken oder sich bei der Weihnachtsfeier des Landfrauenverbandes blicken zu lassen. Je weniger Abgeordnete der Opposition jedoch anwesend sind, desto leichter wird es für die Koalition, eine eigene Mehrheit zu erzielen. 

Ein Beispiel, bitte!

Union und SPD werden auf hohe Anwesenheit pochen. Ein paar Krankheitsfälle gibt es immer, zwei, drei Abgeordnete haben andere wichtige Verpflichtungen, einer fällt aus, weil er nach einem fröhlichen Abend unter Freunden nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen ist. 317 von 328 Koalitionsabgeordneten sind am Ende da und stimmen ab. In der Opposition sind die Grünen fast vollzählig, weil sie ein geschlossenes Zeichen gegen das Rentenpaket setzen wollen, 82 von 85 Abgeordneten stimmen ab. Bei der Linken denken sich einige: Wenn wir uns enthalten, muss ich auch nicht unbedingt abstimmen. 57 von 64 Abgeordneten sind da. Die AfD sieht keine Chance mehr, die Koalition vorzuführen, also bleiben einige Abgeordnete weg, 136 von 151 stimmen ab. Außerdem noch zwei fraktionslose Abgeordnete. Insgesamt landen also 594 Stimmkarten in den Urnen.

In der Union ringen sich angesichts der relativ sicheren Mehrheit 17 Abgeordnete durch, gegen das Paket zu stimmen. 14 enthalten sich. Die Koalition kommt so auf 286 Stimmen, hinzu kommt die Stimme eines Fraktionslosen, macht 287. Damit ist die Kanzlermehrheit schon mal weg. Bei AfD und Grünen stimmen alle anwesenden 218 Abgeordneten gegen das Rentenpaket, ebenso ein Fraktionsloser, macht 219 Stimmen. 12 Linke sind kritischer als die Fraktionsführung und stimmen ebenfalls mit Nein, die anderen 40 anwesenden Abgeordneten enthalten sich. Macht zusammen 231 Neinstimmen. Die Enthaltungen werden nicht gezählt.

Damit hätte die Koalition eine eigene Mehrheit von 286 gegen 231 Stimmen. Da diese Mehrheit auch noch Bestand hätte, wenn alle 40 Linken, die sich enthalten haben, doch mit Nein gestimmt hätten, die Opposition also bei der Anwesenheit an diesem Tag maximal auf 271 Stimmen hätte kommen können, ist es sogar eine eigene Mehrheit mit Sternchen. Dieses Ergebnis würde Friedrich Merz wohl nehmen – nicht begeistert, aber zufrieden.

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