Editorial Fotos mit Geschichte

Liebe stern-Leser! Es gibt Fotos, die sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt haben.

Liebe stern-Leser!

Es gibt Fotos, die sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt haben. Die verstörte Frau mit der gelben Staubschicht auf ihrem Kostüm. Der geschockte Geschäftsmann mit der Aktenmappe und Taschentuch vor dem Mund. Die schluchzende Blondine mit dem Foto und der Beschreibung ihres Verlobten in den Händen. Sie hatten Glück, sie überlebten den Terror. Sie sahen, wie die Türme einstürzten, und müssen seitdem mit dem Albtraum leben. Fast ein Jahr nach dem 11. September 2001 sprachen stern-Reporter mit den Menschen, die auf diesen berühmten Bildern zu sehen sind (Seite 50 der Printausgabe). Die 29-jährige Marcy Borders – Fotoredakteure nannten sie nur „die gelbe Frau“ – konnte kurz vor dem Einsturz aus dem Nordturm entkommen. Sie sagte unserem New Yorker Korrespondenten Michael Streck: „Ich fühle mich heute noch immer so wie am 12. September.“ Aus dem Schock und der weltweiten Trauer wuchs damals auch eine einmalige weltweite politische Allianz gegen den Terror. Die militärische Bilanz nach fast einem Jahr: al Qaeda schwer getroffen, Tausende Zivilisten tot, die Taliban entmachtet. Bin Laden, der Weltfeind Nummer eins, ist zwar abgetaucht. Aber Afghanistan kommt – wenn auch höchst mühsam – wieder zu sich. Aus diesem relativen Erfolg ziehen Bushs Strategen zwei Lehren: Krieg kann ein geeignetes Mittel sein, um politische Ziele durchzusetzen. Und: Wer heute nicht Saddam Hussein ausschaltet, nimmt den Terror von morgen in Kauf. Dechiffriert heißt diese Botschaft: Es ist ein gerechter Krieg, mit dem Amerikas Präsident seinen Kreuzzug weiterführen will. Ohne UN-Mandat wäre ein Feldzug gegen den Irak allerdings ein Krieg gegen alle Regeln des Völkerrechts, wäre ein Rückfall in die mittelalterliche Ordnung, in der Kriege immer dann gerecht waren, wenn der Papst seinen Segen gegeben hatte. Bush mag sich fühlen wie der weltliche Herrscher der westlichen Welt. Aber wir leben nicht mehr im Mittelalter. Wir haben eine Weltordnung, ein Völkerrecht. Und die UN sind die Institution, beides durchzusetzen! Sie sind es, die den menschenverachtenden Diktator an die Kette legen müssen.

Die Vereinten Nationen jedoch liegen da wie ein alter Bettvorleger, auf dem die Regierungschefs herumtrampeln, weil es ihnen innenpolitisch gerade in den Kram passt. Rücksichtslos wird an den UN vorbei taktiert: Bush, indem er auch ohne Mandat gegen Saddam losschlagen will. Schröder, weil er auf keinen Fall mitmachen will, ob UN-Mandat oder nicht. Eigentlich eine sympathische Position, denn die Argumente gegen einen Angriffskrieg überzeugen. Aber ein Regierungschef, der sich nicht um die Meinung der UN schert, macht die Vertretung der Weltgemeinschaft zum Popanz – und Schröders Wende zur uneingeschränkten Ablehnung entspringt wohl eher der Angst vor der Wahlniederlage. Ob das kategorische Nein die Wähler überzeugt? Sicher ist nur, dass die Iraker begeistert sind. Nach langer Zeit schaffte es Schröder mal wieder in die Nachrichten des irakischen Staatsfernsehens. Sein Foto wurde eingeblendet, und der Sprecher sagte: „Gerhard Schröder will nicht gegen unser Land kämpfen!“ So wird man unfreiwillig zum Verbündeten.

Herzlichst Ihr

Andreas Petzold