Kennen Sie den "Schlaraffenland-Effekt"? Wissenschaftler sprechen davon, wenn es Reize im Überfluss gibt und nur noch die stärksten zum Gehirn durchgelassen und akzeptiert werden. Beispiel: Vor 15 Jahren konnten wir noch 300 000 Klänge differenzieren, heute sind es lediglich 180 000 - weil wir in einem permanenten Rausch von Lärm, Musik und Bildern leben. Es ist die Geräuschkulisse eines Alltags, der weitere, oft unvermeidbare Belastungen bereithält: Existenzängste, Krankheiten, Jobangst, Krisen in der Partnerschaft. Zudem scheint der immer schnellere Wandel um uns herum jede Lebensplanung zu überholen, kaum etwas ist noch sicher. Dieses Gemisch aus diffuser Angst und tatsächlicher Gefahr überfordert viele. 25 Prozent der Bevölkerung haben nach Angaben von Psychiatern die Grenze ihrer Belastungsfähigkeit erreicht, rund 20 Millionen Deutsche!
Eine Inventur des Lebensentwurfs ist bei vielen Menschen fällig, der innere Kompass muss neu justiert werden. Der Frühling lässt sich besonders gut dazu nutzen, etwas Neues zu beginnen. Und dabei helfen soll die neue stern-Serie, die in diesem Heft auf Seite 56 beginnt. stern-Autor Peter Sandmeyer und stern-Reporter Uli Hauser beschreiben mit Analysen und Anregungen, wie sich Überforderungen abbauen lassen. Eine Fitnesskur für die Seele in sechs Folgen: das Leben entrümpeln, der Sehnsucht nach Stille folgen, die Krise als Chance nutzen, die Jagd nach Zeit beenden, sich vom Perfektionswahn verabschieden und die Schlampigkeit entdecken. Um schließlich das so einfache, so schwere Ziel zu erreichen: zufriedener zu leben.
Verhungern muss niemand in Deutschland. Aber dass Armut vor allem Familien mit vielen Kindern trifft, bestreitet mittlerweile niemand mehr. Kinder sind ein Armutsrisiko. Und für Kinder ist Armut ein Risiko. Arme Kinder sind nicht einfach nur arm. Sie sind kränker, sie sind häufiger Gewalt ausgesetzt, Missbrauch und Vernachlässigung. Sie haben schlechte Karten für ein besseres Leben. Kinderarmut, das sind zu kleine Schuhe und Kartoffelchips zum Abendbrot. Das ist zu viel Fernsehen und zu wenig Gespräch.
stern-Reporterin Frauke Hunfeld hat in Berlin-Hellersdorf arme Kinder besucht und ein Projekt, das in Deutschland eigentlich überflüssig sein sollte: die "Arche". Eine Einrichtung, die Kindern kostenloses Essen bietet und einen Platz, wo sie ein paar Stunden am Tag hingehören dürfen. Organisiert durch privates Engagement, finanziert durch private Spenden, von Leuten, die nicht mehr nur reden wollen über Pisa und Armut und dass Kinder unsere Zukunft sind, sondern die etwas tun, hier, jetzt, direkt.
Es gibt jede Menge Eltern, die trotz schwierigster Lebensverhältnisse ihren Kindern ein gutes Zuhause schaffen. Aber es gibt auch diejenigen, die sich um ihre Kinder nicht mehr kümmern können, nicht mehr wollen, die aufgegeben haben. Was soll aus solchen Kindern werden? Man kann die kleinen Jungen und Mädchen nur bewundern für ihre Kraft und ihren Erfindungsreichtum in der Not: Woher es von der "Arche" weiß, fragte Hunfeld eine Sechsjährige. Sie habe das Essen gerochen und Kinder in das Haus rein- und rausgehen sehen, hat das Mädchen gesagt, dann sei sie hinterher und habe gefragt, ob man bezahlen muss für das Essen. Am nächsten Tag hat sie ihre beiden kleineren Geschwister gleich mitgebracht.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold