Seit 13 Monaten tobt nun der Vorwahlkampf in den USA, und es zeigt sich immer deutlicher: Die Menschen wollen nicht länger "more of the same", nicht noch mehr vom Gleichen. Nach Bush senior regierte zweimal Clinton, dann zweimal Bush junior. Und nun schon wieder Clinton, auch wenn es die Frau ist? Nein, den Amerikanern steht der Sinn nach Veränderung. Langjährige Erfahrung ist sicher gut, aber ein Wechsel vielleicht noch besser. Und niemand verkörpert diese Sehnsucht nach frischen Gesichtern und Ideen besser als Barack Obama, 46, der Senator aus Illinois. Er stieg in den vergangenen Monaten zum Superstar der politischen Klasse auf. Das ganze Land scheint von "Obamania" erfasst, keine Arena ist groß genug für ihn. Zehntausende wollen ihn bejubeln, sie warten stundenlang, um seine parteiübergreifende Botschaft des Wandels zu hören.
Anfangs glaubte niemand, dass er eine echte Chance hätte, als er gegen Hillary Clinton antrat. Sie galt doch schon als Präsidentin im Wartestand. Sie hatte die Wahlkampfmaschine, die Millionen in der Kasse und ihren Mann Bill im Rücken. Doch Hillary unterschätzte seine Entschlossenheit. Zielsicher und gut vorbereitet nutzte Barack Obama seine Chancen - und es scheint, als könne Hillary Clinton seinen Siegeszug kaum noch stoppen. Zuletzt siegte er zehnmal in Folge, jetzt bricht er auch noch alle Spendenrekorde, erhält bis zu einer Million Dollar - pro Tag. Sein Wahlkampf ist wie eine Volksbewegung organisiert. Längst reist er im Sonderflugzeug, beschützt von Agenten des Secret Service, er ernährt sich vor allem von Sandwiches mit gegrilltem Huhn, und um fit zu bleiben, versucht er, sich morgens eine Stunde fürs Sportstudio frei zu halten.
Schon jetzt hat Barack Obama Geschichte geschrieben. Denn auf einmal ist Politik wieder interessant geworden, vielleicht sogar glaubwürdig. Zum ersten Mal seit Jahren fühlen sich viele Menschen wieder ernst genommen. Und deswegen engagieren sich Hunderttausende in diesem Wahlkampf, die Wahlbeteiligung ist so hoch wie nie. Barack Obama gibt den Menschen gerade ein Stück Vertrauen in ihr Land zurück. Denn er spricht - wie einst John F. Kennedy - das Bessere in jedem Menschen an. Und dafür sind Amerikaner besonders empfänglich.
Seit über einem Jahr beobachtet Katja Gloger, unsere Korrespondentin in Washington, den perfekt geplanten Aufstieg des Barack Hussein Obama. Auf ihren Reisen mit dem Kandidaten erlebte sie einen hoch professionellen Politiker, der sich zwar lässig gibt, aber von brennendem Ehrgeiz getrieben wird. In diesem Heft (ab Seite 32) zeichnet Katja Gloger das unkonventionelle Leben eines ungewöhnlichen Kandidaten nach, der lange mit dem amerikanischen Traum haderte, bevor er als Sozialarbeiter in den Armenvierteln von Chicago seinen Weg nach oben begann. Hoffnung versteht er dabei nicht als romantische Träumerei, sondern als handfeste Gebrauchsanleitung für das Leben.
Sein "Fels", wie er sagt, ist Michelle, seine schöne, elegante, scharfzüngige Frau. Die Harvard- Juristin holt Barack Obama auf die Erde zurück, wenn er es mal wieder übertreibt mit seinen Eitelkeiten und seiner Schludrigkeit. Dann weist sie ihn kühl an, gefälligst seine Socken wegzuräumen. Sie macht heute Wahlkampf für ihren Mann, aber sie bleibt nie länger als eine Nacht von zu Hause weg, der beiden kleinen Töchter Malia und Sasha wegen, wie Michelle Obama der stern-Reporterin erzählte. "Ich will wie jede andere Mutter am Sportplatz stehen und sie anfeuern, wenn unsere Kinder Fußballtraining haben. Wir können nur versuchen, so normal wie möglich zu bleiben. Mit uns bekommt man wirklich, was man sieht."
Das Zeug zur First Lady hätte Michelle Obama allemal.
Herzlichst Ihr
Thomas Osterkorn