Liebe stern-Leser!
Skrupellos benutzt Präsident Bush das Gedenken an die Toten des 11. September, um für seine Irak-Pläne zu werben. Die Trauer soll die Wut der Amerikaner steigern und den Ruf nach Rache Richtung Bagdad lenken. Wir, die deutschen Wähler, reiben uns unterdessen die Augen und nehmen überrascht zur Kenntnis: In der Berliner Regierung und in der Opposition wimmelt es plötzlich nur so von Friedensaktivisten. Es ist, als habe der Bundestagspräsident über dem Reichstag die weiße Taube auf blauem Grund gehisst. Ein Feldzug gegen den Schurken Saddam soll ohne deutsche Beteiligung stattfinden. Kein Geld, keine Soldaten, keine politische Unterstützung. „Das gilt vor der Wahl, das wird auch nach der Wahl so bleiben“, bekräftigt der Kanzler im stern-Interview (Seite 40 der Printausgabe). Ein wenig Skepsis scheint dennoch angebracht zu sein. „Militärisch gestützte Politik“ – so lautet in der Politik die gern verwendete Umschreibung für das hässliche Wort „Krieg“ – gehörte durchaus in das Repertoire dieser Regierung. Zuweilen aus nachvollziehbaren Gründen, soweit es Kosovo und Mazedonien betrifft. Für einen Kriegseinsatz gegen den Terror hat Schröder im November 2001 sogar die Vertrauensfrage gestellt. Noch immer kämpft die Spezialtruppe KSK in Afghanistan, die Bundesmarine sichert mit zwölf Schiffen und 1300 Soldaten das Horn von Afrika, sechs Spürpanzer stehen nach wie vor in Kuweit. Aber der Wahlkampf wird mit Brustbreite entschieden, und deshalb zieht Schröder hastig eine Wagenburg um Deutschland, um die Wähler vor den Bush-Kriegern zu schützen. Dabei lässt er die UN, das einzig legitime Gremium in der Irak-Frage, links liegen. Aus purem Eigennutz! Eine Haltung mit unübersehbaren Folgen für das deutsch-amerikanische Verhältnis. Denn bei einem Angriff auf den Irak wären die US-Basen in Deutschland wichtige Ausgangspunkte für die Amerikaner. Mehr noch: Wenn es richtig ist, was Bundestagspräsident Wolfgang Thierse unter dem Beifall von Verteidigungsminister Peter Struck sagt, dass eine deutsche Beteiligung an einem Angriffskrieg gegen den Irak Verfassungsbruch wäre, dann müsste Schröder den deutschen Luftraum für das US-Militär sperren. Das ist möglich, sagen Experten, solange die Nato nicht den Bündnisfall beschließt. Es hätte ja Charme, wenn plötzlich in einer wieder gewählten rot-grünen Regierung ziviles Engagement höher gehandelt würde als „militärisch gestützte Politik“. Aber hier sind Zweifel an der Standfestigkeit des SPD-Chefs erlaubt – denn hätte Schröder das Kanzleramt auf Prinzipien gebaut, wäre es schon des Öfteren eingeknickt.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold