Editorial Keine Schecks, keine Soldaten!

Wir, die unverbesserlichen Gutmenschen aus "old Europe" (Rumsfeld), sollten Zeugen eines einzigartigen militärpolitischen Schauspiels werden: Eine hochtechnisierte Streitmacht entsorgt einen blutrünstigen Diktator, entschärft biologische und chemische Waffen aller Art, begeistert irakische Massen für die Demokratie und sichert die Menschenrechte in einem Land, in dem Willkür und Folter Alltag sind

Liebe Stern-Leser!
Wir, die unverbesserlichen Gutmenschen aus "old Europe" (Rumsfeld), sollten Zeugen eines einzigartigen militärpolitischen Schauspiels werden: Eine hochtechnisierte Streitmacht entsorgt einen blutrünstigen Diktator, entschärft biologische und chemische Waffen aller Art, begeistert irakische Massen für die Demokratie und sichert die Menschenrechte in einem Land, in dem Willkür und Folter Alltag sind.
Nur - die Realität hält sich nicht an das Drehbuch. Vergeudete Milliarden, Terror und anarchische Zustände im Irak, täglich tote US-Soldaten. Der Präsident steht mit dem Rücken an der Wand des Weißen Hauses. Noch vor wenigen Monaten klang Bush wie der Allmächtige persönlich: "Der Sicherheitsrat ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden, daher werden wir uns der unsrigen stellen!" Jetzt bittet er die Vereinten Nationen um Beistand. Gar nicht mal reumütig. Nichts deutet darauf hin, dass seine Regierung aus dem Schaden klüger geworden ist, etwa künftig auf völkerrechtswidrige Angriffskriege verzichten wird oder zukünftig nur im Konsens mit UN und Verbündeten vorgehen wird. Nein, ungeniert schickt er seinen Außenminister in den Sicherheitsrat, um dort den Hut rumgehen zu lassen. Ausgerechnet die von ihm brüskierte und verachtete Staatengemeinschaft soll jetzt mit Geld, Technik und Soldaten einen schmachvollen Rückzug der US-Army aus dem Irak abwenden.
Die Frage ist nun: Sollen wir, erfüllt von Genugtung, zuschauen, wie Bush seinen Scherbenhaufen allein zusammenfegt? Oder sollen wir helfen?
Ja! Wir sollten ihnen bei der Einsicht helfen, dass der Konsens mit Verbündeten ein wertvolles Gut ist und der Sicherheitsrat kein Selbstbedienungsladen. Jede andere Form von Unterstützung sollte die Bundesregierung allein den Vereinten Nationen gewähren, falls die Staatengemeinschaft den politischen Wiederaufbau des Irak künftig verantwortet. Dabei gilt: keine Schecks und keine Soldaten. Ein deutsches Kontingent würde mengenmäßig vermutlich kaum auffallen. Aber die symbolische Bedeutung wäre ungleich größer als der militärische Nutzen: Es könnte als nachträgliche Legitimierung des Angriffskrieges gewertet werden, als riskante Morgengabe, sich das Wohlwollen der Amerikaner zu sichern. Sinnvoller ist es, den Irakern bei der Wasserversorgung oder dem Verwaltungsaufbau behilflich zu sein. Denn die Rolle des teilnahmslosen, selbstgerechten Zuschauers sollte Deutschland nicht einnehmen. Schließlich geht es Schröder darum, wenigstens ein bisschen Einfluss auf das Weltgeschehen wiederzugewinnen.
Das Pokerspiel im Sicherheitsrat hat begonnen, und der Kanzler hat gute Karten, seine Vorstellungen durchzusetzen. Worum es dabei geht, formuliert Außenminister Joschka Fischer in einem Stern-Gespräch. In unserer Titelgeschichte beschreiben die Amerika-Korrespondenten Michael Streck und Jan Christoph Wiechmann, wie aus dem großmäuligen Feldherrn George W. Bush ein Bittsteller wurde. Sie interviewten auch den angesehenen amerikanischen Politikwissenschaftler Professor Charles Kupchan, der die Folgen der Bush-Politik einordnet: "Für imperiale Politik gibt es in Amerika keinen Rückhalt. Irgendwann fragen die Leute: "George, was machst du da eigentlich?"

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold