Editorial Zum Teufel mit König Konsens

Liebe stern-Leser! Nur wenige Tage gingen nach der Wahl ins Land, da hat Finanzminister Eichel seinen

Liebe stern-Leser!

Nur wenige Tage gingen nach der Wahl ins Land, da hat Finanzminister Eichel seinen Geldspeicher geöffnet und die Öffentlichkeit einen Blick auf das große Nichts werfen lassen. Seht her, liebe Leute, ich brauche neue Finanzquellen, sonst kann mein Kanzler nicht regieren. Lauten Unmut darüber gab es nicht. Dass die dünne Farbschicht, mit der das Schreckensgemälde „Sparen & Streichen“ bis zum 22. September übertüncht war, jetzt abplatzt, überrascht wohl niemanden. Der Wähler hat den Betrug bei der Stimmabgabe gleich mit einkalkuliert. Und die Wahrheit über die desolate Finanzlage zu verschweigen ist auch Betrug, weil es vorsätzlich geschehen ist. Der Wettbewerb der Parteien um Wählerstimmen hat verhindert, dass frühzeitig Realismus einkehrt. Aber aus dem Kuschel-Wahlkampf darf keine Kuschel-Regierung hervorgehen. Angesichts der Bevölkerungspyramide müssen die konfliktscheuen Politiker endlich eingestehen: Die bestehenden Sicherungssysteme für Rente, Gesundheit und Arbeitslosigkeit sind nicht zukunftsfähig. Es ist zwar richtig, endlich Mittel für die Kinderbetreuung aufzutreiben – aber um den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gau abzuwenden, muss uns die steigende Arbeitslosigkeit mehr bewegen als alles andere. Am alarmierendsten ist, dass die junge, gut ausgebildete Generation von einer Kündigungswelle in die Frustration getrieben wird (s. Titelgeschichte, Seite 198 der Printausgabe). Und viele, die noch arbeiten dürfen, haben Angst vor dem Tag X. Bundeskanzler Schröder und sein neuer Superminister Clement müssen jetzt alle nur denkbaren Möglichkeiten ausloten, wie in Deutschland mehr Beschäftigung entstehen kann. Wie wird dieses Land fit für die Zeit, wenn sich die Weltwirtschaft erholt? Darum muss sich bei Rot-Grün jetzt alles drehen! Die „Ich-AGs“ und „Personal-Service-Agenturen“ aus dem Hartz-Konzept funktionieren nur, wenn Arbeit nachgefragt wird. Die soziale Marktwirtschaft kann nur sozial sein, wenn sie wächst. Nur dann entstehen zusätzliche Jobs. Jetzt, unmittelbar nach der Wahl, ist die Zeit für dramatische, schmerzhafte Kurskorrekturen, bevor Reformen vor den nächsten Wahlen wieder zu Retuschen schrumpfen. Schröder hat das Zepter in den vergangenen vier Jahren viel zu oft an König Konsens abgegeben. Der hat das Land regiert – und blockiert. Zum Teufel mit ihm! Jetzt muss Politik gegen Widerstände durchgesetzt werden. Gegen Bauern, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Ärzte, gegen all jene Besitzstandswahrer, die fortwährend Reformen fordern, aber immer nur bei den anderen. Die Wähler haben Schröder die Macht gegeben. Als Kanzler übt er „Richtlinienkompetenz“ aus. Er hat das Entscheidungsmonopol. Er muss es nutzen. Eine Regierung hat nicht nur Verantwortung für das, was sie tut, sondern auch für das, was sie nicht tut.

Herzlichst Ihr

Andreas Petzold