Editorial Zwei Wege zum Aufschwung

Liebe stern-Leser!

Was Politik und Wirtschaft nicht schaffen, wird hoffentlich der Sport bringen: den lange ersehnten Stimmungswechsel in diesem Land, vielleicht sogar den Aufschwung. Heute auf den Tag genau in einem Jahr beginnt die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland. Sie wird nicht nur ein großes Sportereignis sein, sie ist auch ein gigantisches Konjunkturprogramm: Mit zehn Milliarden Euro zusätzlichem Umsatz durch Tourismus, Konsum, Bauarbeiten, Kulturprogramme rechnen die Fachleute. Und wenn vom 9. Juni 2006 an täglich Milliarden Menschen per Fernsehen nach Deutschland blicken, dann werden auch die Menschen bei uns hoffentlich mehr feiern und weniger jammern. Alles über den "Countdown zur WM" lesen Sie ab Seite 28.

Wie mehr Wachstum die Stimmung beflügelt und umgekehrt, das lässt sich im Nachbarland Österreich gut beobachten. Jahrelang konnten die Deutschen auf die ärmeren "Ösis" herabsehen. Heute hat Österreich ein fast dreimal höheres Wirtschaftswachstum als Deutschland, eine halb so hohe Neuverschuldung und - größter Trumpf - nur eine halb so hohe Arbeitslosenquote.

stern-Redakteur Markus Grill, 37, reiste zwei Wochen durch das Nachbarland, das von dem Fall des Eisernen Vorhangs, dem EU-Beitritt und dem Euro gleichermaßen profitiert hat. Sein Eindruck: Die Österreicher reden zwar auch lange über Reformen, aber am Ende machen sie wirklich Entscheidendes. Zum Beispiel: die Lohnnebenkosten für Menschen über 56 zu senken. Den Universitäten mehr Unabhängigkeit zu geben. Die Unternehmenssteuern nicht nur zu senken, sondern zu vereinfachen. Den größten Unterschied erspürte der stern-Redakteur im Umgang der Sozialpartner miteinander. Arbeitgeberpräsident Christoph Leitl sagte mit Blick auf Deutschland: "Ich halte wenig davon, immer neue Gräben aufzureißen, wie das mit Hartz IV passiert. Man muss den Menschen das Gefühl von Sicherheit geben und darf nicht heute über Kündigungsschutz reden, morgen über die Lohnhöhe und übermorgen über die Arbeitszeit."

Die Reportage "Österreich - Das bessere Deutschland" beginnt auf Seite 60.

Es war eine Sensation:

Vor drei Wochen wurde bekannt, dass es dem Veterinärmediziner Dr. Hwang Woo-Suk aus Südkorea gelungen ist, aus den Körperzellen von kranken Menschen Embryonen zu erzeugen, um daraus Stammzellen zu gewinnen - für neues, gesundes Gewebe. stern-Reporter Frank Ochmann und Fotograf Stephan Elleringmann waren die ersten Journalisten, die ihm einen Tag lang über die Schulter schauen durften. In Nobel-Limousinen, begleitet von Bodyguards, fuhren sie von seinem Institut in Seoul zu einer Laborfarm, wo er Klonversuche mit Schweinen macht. "Ich wünsche meinen deutschen Kollegen, dass sie möglichst bald so wie ich arbeiten können. Dann werden wir schneller vorankommen", sagte Hwang, den Kritiker für einen modernen "Frankenstein" halten. Ob er für sich selbst noch mit medizinischen Anwendungen rechne? "Auch noch für meine Mutter!", antwortete er. Und die ist 89. Der Bericht über "Doktor Hwang - und wie er lernte, das Klonen zu lieben" beginnt auf Seite 150.

Herzlichst Ihr


Thomas Osterkorn

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