Die Kunstbiennale von Venedig, der man lange Betulichkeit vorgeworfen hat, ist spätestens mit ihrer jüngsten Ausgabe auf der Höhe des Zeitgeistes angekommen. Nach der Verjüngungskur, die der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann der bereits 1895 begründeten »Mutter aller Biennalen« vor 2 Jahren mit einigem Erfolg verordnet hatte, machen sich diesmal die aktuellen Trends der Kunstszene nahezu in allen nationalen Pavillons auf dem Gelände der Giardini di Castello geltend. Den Besucher der großen Kunstschau erwarten unter anderem höchst eigenwillige Videos, Selbstinszenierungen der forschesten Art und befremdliche Horrortrips. Die Schau wird an diesem Samstag mit einer Feier für geladene Gäste und der Bekanntgabe der Preisträger eröffnet.
Der vom Vernissage-Publikum geradezu belagerte deutsche Pavillon ist ein Beispiel dafür, wie sich junge Künstler heute artikulieren: weit jenseits dessen, was einmal als Bild oder Plastik galt. Der 1969 geborene Gregor Schneider aus Rheydt hat große Teile seines Wohnhauses in die Lagunenstadt bringen lassen und dort wieder zu einem völlig verschachtelten dreistöckigen Gebäude mit labyrinthischen Gängen, toten Räumen und Fenstern ohne Ausblicke zusammengesetzt. Den Besucher dieses muffig riechenden Baues mit seiner kleinbürgerlichen Ausstattung beschleichen Erstickungsängste, zumal Schneider auch noch für Isolierung mit Bleiplatten oder Glaswolle gesorgt hat. Ob von einer derart Gestalt gewordenen Angstlust des Künstlers wirklich das »Denken über Kunst« in Frage gestellt wird, wie der deutsche Biennale-Kommissar Udo Kittelmann meint, wird jeder Betrachter selbst entscheiden müssen.
Ein ganz anderer Künstlertyp ist der Schweizer Urs Lüthi, der sich gewissermaßen selbst als Kunstwerk offeriert: Wie hingegossen in einer typischen Pose ist der kahlköpfige Mann als naturgetreue Plastik präsent, aber auch auf Laufbändern zu sehen oder auf großen Fotos aus Jünglingstagen. All das gemäß seinem Slogan »Kunst für ein besseres Leben«, den Lüthi mit seinem Konterfei auf Becher und Wurfscheiben drucken ließ. Ähnlich auf das eigene Ich bezogen arbeitet Mark Wallinger, der den englischen Pavillon gestaltet hat. Mit weißem Hemd, dunkler Sonnenbrille und Blindenstab steigt er auf einem Video zu erhabener Musik eine Rolltreppe in einer Londoner U- Bahn herab, spielt dabei seine Kunstfigur »Blinder Glaube«.
Enttäuschend in diesem Jahr der amerikanische Beitrag. Der Bildhauer Robert Gober hat neben einer für ihn typischen Arbeit aus Wachs mit behaarten Körperteilen in anderen Räumen des Pavillons lediglich simple Steinquader zu bieten, die jeweils durch ein Brett akzentuiert sind - einmal darüber gelegt, einmal darunter.
Was unter dem Biennale-Motto »Plateau der Menschheit« zu verstehen ist, wird nur annähernd deutlich. Es soll dabei nach Sicht der Veranstalter um die künstlerische Beschäftigung mit ethischen, politischen und religiösen Fragestellungen im Zeitalter der Globalisierung gehen. Das versucht etwa der Belgier Luc Tuymans mit fahrig hingemalten Tafelbildern zum Thema des schlimmen Kolonialerbes seines Landes oder die Video-Installation im australischen Pavillon, wo eine Künstlergruppe mit dem Projekt »Deep Water« auf die zentrale Bedeutung des Wassers für die Menschheit hinweist.
Auf ethische Zusammenhänge deutet der Beitrag von Rimer Cardillo aus Uruguay hin, der mit mumifizierten Vögeln und anderen Lebewesen auf die problematische Verbundenheit des Menschen mit seiner Umwelt verweist. Solche kleinen Entdeckungen sind in diesem Jahr in den nationalen Pavillons der Kunstbiennale, die für das allgemeine Publikum von diesem Sonntag an zu sehen ist und bis zum 4. November dauert, eher die Ausnahme.
In den restaurierten Räumen des Arsenals, wo Szeemann allein Regie führte, kann man neben vielen alten Bekannten von Joseph Beuys bis Jeff Wall eher auf etwas stoßen, was neue Horizonte zu öffnen vermag. Ganz sicher wird der Besucher aber überall auf dem Biennale- Gelände über in Haufen auftretende vergoldete Palstikschildkröten stolpern, die von der italienischen Cracking Art Group stammen und in Venedig unübersehbar auf eine besonders bedrohte Tierart aufmerksam machen.
Von Peter Engel, dpa