Interview Spencer Platt "Mein Foto ist zu perfekt"

Junge Leute im Cabrio vor den Trümmern Beiruts - das mit dem Preis fürs beste Pressefoto des Jahres 2007 ausgezeichnete Bild von Spencer Platt sorgte für erregte Debatten. Berühmt wurde der Fotograf mit dem Bild des Flugzeugs, das ins World Trade Center rast. Im stern.de-Interview erzählt Platt, wie seine Bilder entstehen.

Ihr preisgekröntes Bild mit dem Cabrio vor den Trümmern entstand 2006 im Beiruter Vorort Dahye. Können Sie sich noch an die genauen Umstände erinnern?

Es war ein ruhiger Tag. Menschen arbeiteten in den Trümmern, ich hörte Stimmen und das Geräusch elektrischer Sägen, einige Leute weinten, andere waren optimistisch, der Krieg war vorbei. Über allem lag eine tiefe Stille. Meine Übersetzerin und ich waren in dem Viertel unterwegs, sind durch die Trümmer gestreift, haben Leute interviewt und Bilder gemacht. Eigentlich wollte ich zurück ins Hotel, mein Material archivieren und senden. Aber das eine Bild fehlte noch, das habe ich gefühlt. Wir standen also auf der Straße und unterhielten uns. Als ich den Wagen kommen sah und wusste ich: "Das ist etwas anderes". Ich hatte wenig Zeit, um zu reagieren, fünf oder sechs Bilder konnte ich machen: alle unbrauchbar bis auf eins. Erst dachte ich, ich hätte es vermasselt.

Leid oder Dekadenz, in diesem Spannungsfeld bewegt sich das Bild. Wie verhalten Sie sich dazu?

Jeder interpretiert das Bild etwas anders. Es hat eine großartige Diskussion über Fotografie und ihre Zwecke sowie den Libanon geschaffen. Der ehemalige libanesische Premierminister hat mich sogar nach Beirut eingeladen. Er liebt das Bild und meint, dass es die Vermischung verschiedener Religionen zeigt. Dieser Aspekt war mir völlig neu. Irritiert war ich allerdings durch die ersten Bildunterschriften, "Kriegstouristen im Libanon". Die fand ich bedauerlich, denn das Bild spricht für sich selbst. Als ich es gemacht habe, wusste ich nichts über diese Leute. Ich vermutete, sie seien Schiiten, weil viele in der Gegend lebten. Ich habe nie mit ihnen gesprochen. Ich wusste nur, dass sie aus dem gleichen Grund da waren, wie ich auch: als Voyeure - obwohl sie hier zu Hause waren. Sie haben getan, was wir alle taten, nur mit viel mehr Stil. In Amerika reden die Leute eher über die Sopranos oder Reality-Shows, wenn sie sich treffen. Für die Kultur wäre es aber viel besser, sich mit realen Zusammenhängen auseinanderzusetzen als mit dem TV-Programm.

Eine Bilderbuch-Karriere: Spencer Platt

Spencer Platt, 37, lebt in New York und arbeitet seit sieben Jahren für die Bildagentur Getty Images auf der ganzen Welt. Eigentlich wollte er Autor werden, entdeckte aber auf dem College, dass seine Schreibkünste nicht ausreichten, sattelte um aufs Fotografieren und machte eigene Geschichte in Albanien und Afrika. Der 11. September 2001 veränderte auch sein Leben schlagartig. Platt gelang, den Sturz des zweiten Flugzeugs ins World Trade Center festzuhalten.

Warum haben Sie unter all ihren Bildern aus dem Libanon ausgerechnet dieses eingereicht?

Es zeigt einen wichtigen Teil des Krieges - nämlich nicht nur Tod und Zerstörung, davon habe ich genug Bilder. Ich glaube, viele Menschen haben noch das Vorurteil, dass im Nahen Osten alle Frauen Burkhas tragen und auf Eselskarren fahren. Aber gerade der Libanon ist sehr fortschrittlich. Das ist ein kleiner Teil der Geschichte dieses Krieges, und die Menschen sollten es ansehen, genau wie all die anderen Bilder. Ich bin sehr stolz auf dieses Bild, das eigentlich mich gefunden hat.

Haben Sie mit dieser Resonanz gerechnet?

Ja und nein. Jedes Bild, das als World Press Photo im Rampenlicht steht, wird zwangsläufig hinterfragt und kritisiert, wird diskutiert. Ich werde immer wieder beschuldigt, das Bild gestellt zu haben. Etwas Schmeichelhafteres kann man gar nicht sagen: "zu perfekt". Ein Reporter der New York Times wirft mir vor, ich hätte mit diesem Bild den Krieg verharmlost. Es kann recht frustrierend sein, sich all diesen Fragen und Vorwürfen zu stellen, obwohl ich die Gründe dafür verstehe.

Wie war es eigentlich, im Libanon zu arbeiten?

Fotografisch ist das eines der interessantesten Ländern, in denen ich bisher war: sehr aufregend, farbenfroh, komplex. Die Libanesen sind im Umgang mit Medien sehr gerissen, sie sind damit aufgewachsen und an Fotografen und Reporter gewöhnt. Und sie sind sehr kosmopolitisch - ich glaube, mein Bild spiegelt das wieder. Der durchschnittliche Libanese, besonders in Beirut, spricht mehrere Sprachen. Und er verfolgt ziemlich genau, was außerhalb seines Landes passiert. Es ist eine sehr vielschichtige, komplexe Gesellschaft, wundervoll. Obwohl die Leute wussten, dass Amerika die Israelis unterstützt, hat mir meine Nationalität nie Ärger gemacht. Das war toll, ich musste mich nicht so sehr um meine Sicherheit sorgen und konnte einfach meinen Job machen.

Ist man Ihnen vielleicht ohne Feindseligkeit begegnet, weil Sie als Journalist da waren?

Ja, definitiv. Die Menschen im Nahen Osten sind im Umgang mit den Medien sehr geschickt. Sie wissen, was wir tun und wie wir arbeiten. Leider ist es so auch sehr leicht, zu manipulieren. Oft drehen bestimmte Leute für die Fotografen richtig auf, halten zum Beispiel ein totes Kind in alle Kameras - das macht es schwer, einen authentischen Moment einzufangen. Ich fühle mich damit sehr unwohl. Natürlich sollte man tote Kinder zeigen, wenn sie zur Geschichte gehören, aber das darf keine Propaganda werden. Was ich an meinem Bild mag, ist die Gewissheit, dass die Leute mich gar nicht wahrgenommen haben - es ist authentisch.

Welche Bedeutung hat Kriegsfotografie heutzutage, wo es so viele Konflikte in der Welt gibt?

Kriegsberichterstattung ist sehr wichtig. Wir sind so abgelenkt, gewöhnt an I-pods, MySpace, das Internet. Es ist so leicht, den Rest der Welt auszublenden. Es ist unerlässlich und unser Job, die Leute an Darfour, den Tschad, Kongo, Irak und Libanon zu erinnern. Wir profitieren nicht vom Leid der Leute. Die meisten Fotojournalisten, die ich kenne, verlieren eher Geld, wenn sie solche Themen fotografieren - immer weniger Magazine unterstützen Reportagen über Erdbeben oder Kriege. Aber starke Bilder haben die Kraft, etwas zu bewegen, wenn man ihnen ein Publikum gibt.

Was macht in Ihren Augen einen guten Fotoreporter aus?

Ein guter Fotojournalist ist natürlich neugierig, frei von Hass und Vorurteilen sein, Er braucht viel Neugier, Menschlichkeit und Offenheit gegenüber Kulturen und Menschen.

Interview: Philipp Gülland