"Miracle Village" in Florida Im Dorf der Sexualstraftäter

Weiße Häuschen, grüne Gärten. Die Vorstadtidylle in Miracle Village trügt. Die Bewohner der kleinen Siedlung in den Sümpfen Floridas haben eines gemeinsam: Sie sind verurteilte Sexualverbrecher.

Miracle Village - "Wunderdorf": Der Name klingt nach einer idyllischen Ferienanlage. Doch zum Vergnügen kommt niemand in diese Siedlung mitten in den Sümpfen Floridas. In Miracle Village wohnen ausschließlich entlassene Sexualstraftäter, die nirgendwo sonst erwünscht sind. "Zwischen 115 und 120 sind es derzeit", sagt Pat Powers, Bewohner und gleichzeitig Geschäftsführer der Anlage. Zwölf Jahre saß der stämmige 65-Jährige im Gefängnis, weil er ein Kind sexuell missbrauchte.

Ursprünglich waren die kleinen weißgestrichenen Häuschen des Dorfes für karibische Saisonarbeiter auf der nahegelegenen Zuckerrohrplantage gebaut worden. In den Bewässerungskanälen tummeln sich Krokodile, die nächste Stadt Pahokee ist meilenweit entfernt. 2009 begann die christliche Hilfsorganisation "Matthew 25: Ministries", in der verlassenen und verfallenen Siedlung ein Wohnprojekt für entlassene Sexualstraftäter aufzubauen. Damals habe es nur so von Ratten gewimmelt, sagt Powers. Inzwischen sind die meisten Häuser renoviert, der Rasen ist gepflegt. Powers ist gerade dabei, die durch die Feuchtigkeit und Hitze verschimmelte Decke der Kirche wieder in Stand zu setzen. Einmal in der Woche geht er zur Therapie.

"Niemand wird gezwungen, hier zu leben", sagt Powers. Doch die meisten Bewohner haben keine andere Wahl. Wer in Florida wegen eines Sexualdelikts verurteilt wurde, darf nicht in weniger als 300 Metern Abstand zu Spielplätzen, Schulen und Parks wohnen. Außerdem ist kaum jemand bereit, den Ex-Gefangenen Arbeit zu geben oder eine Wohnung zu vermieten. Verheimlichen kann seine Vergangenheit niemand: Florida war 1997 der erste US-Bundesstaat, der die Namen aller Sexualstraftäter im Internet veröffentlichte - mit Foto, Angaben zum Vergehen, Geburtsdatum und Adresse. Schätzungen zufolge leben Hunderte ehemaliger Sexualstraftäter deshalb auf der Straße, unter Brücken oder in der Wildnis.

Ein Leben lang gebrandmarkt

Oft wird bereits der Gang zum Supermarkt zu einer Hetzjagd. "Wenn ich zu Walmart zum Einkaufen gehe, hängt da am schwarzen Brett mein Foto. Sobald mich jemand erkennt, ruft er die Polizei. Überall wirst du schikaniert", sagt David Woods, der ebenfalls in Miracle Village wohnt. "Wenn du einmal in dem Register bist, bleibst du dein Leben lang darin. Selbst wenn du gestorben bist, stehts du weiter drin", sagt Powers. Für seine Tat akzeptiert er das als eine gerechte Strafe. Für jüngere Täter sollten aber andere Regeln gelten, findet er.

Zum Beispiel für den 19-jährigen Matthew Richey, der erst kürzlich in die Siedlung gezogen ist. Er wurde verurteilt, weil er - damals selbst noch minderjährig - mit seiner 15-jährigen Freundin schlief. Richey empfindet es als ungerecht, dass er nun für immer auf der 40.000 Namen umfassenden Liste zusammen mit Pädophilen und Vergewaltigern steht. "Es ist völlig egal, was das für ein Vergehen war, du wirst automatisch als Babyschänder behandelt und dir werden die schlimmsten Gräueltaten vorgeworfen. Da wird kein Unterschied gemacht", sagt er.

Zweck des Registers sei, "der Öffentlichkeit Informationen zu geben, die wichtig sind, um sich und die Familien vor Sexualstraftätern zu schützen" - so heißt es auf der Website der Strafverfolgungsbehörde. Kritiker hingegen werfen der Behörde vor, die Resozialisierung der Täter zu verhindern. "Die Leute sollen bestraft werden, aber wenn sie dann aus dem Gefängnis kommen und die Kontrolle durch die Justiz vorbei ist, verhindern die geltenden Gesetze die Wiedereingliederung", sagt Sandy Rozek von der Freiwilligenorganisation Reform Sex Offender Laws. Aufgrund der Beschränkungen und des Registers würden die Betroffenen wie "Untermenschen" behandelt. "Dabei ist wissenschaftlich erwiesen, dass eine Wiedereingliederung die Rückfallquote niedrig hält."

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AFP
Von Guillaume Meyer, AFP

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