15-Jähriger wollte flüchten Prozess um tödlichen Balkonsturz - Stumme Anklage des Vaters

Die Angeklagten im Prozess verbergen ihre Gesichter vor den Fotografen. Foto: Markus Scholz/dpa
Die Angeklagten im Prozess verbergen ihre Gesichter vor den Foto
© Markus Scholz/dpa
Bei einem Überfall in einem Hamburger Hochhaus versucht ein 15-Jähriger über den Balkon zu flüchten - und stürzt in den Tod. Jetzt stehen zehn junge Männer als Angeklagte vor Gericht.

Fast acht Monate nach dem tödlichen Sturz eines 15-Jährigen aus einem Hamburger Hochhaus beginnt ein Prozess gegen zehn junge Männer mit großer Emotionalität. Mit einem Foto seines Sohnes in den Händen kommt der Vater des Jugendlichen als Nebenkläger ins Landgericht. Wie eine stumme Anklage hält er es an der Seite seines Anwalts in die Kameras der Pressevertreter.

Der Junge soll in der Nacht zum 14. April versucht haben, vor Angreifern aus der Wohnung des Hauses im Stadtteil Wilstorf zu flüchten. Dabei stürzte er vom Balkon im achten Stock in den Tod. Zuvor sollen acht junge Männer in die Wohnung eingedrungen sein und die vier Anwesenden überfallen haben.

Vor der Großen Strafkammer stehen jetzt zehn Syrer als Angeklagte. Die Staatsanwaltschaft wirft sieben von ihnen besonders schweren Raub mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor. Drei weitere Heranwachsende sind wegen Beihilfe angeklagt.

Zuschauer müssen Saal verlassen

Der Prozess wird vor einer Großen Strafkammer als Jugendkammer geführt, weil neun der zehn Angeklagten zur Tatzeit Jugendliche oder Heranwachsende waren. Nach Verlesung der Anklage und einem Eröffnungsstatement des Nebenklagevertreters schließt die Kammer die Öffentlichkeit bis zum Ende der Beweisaufnahme aus.

Die Vorsitzende Richterin Ulrike Schönfelder begründet das mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der jugendlichen Angeklagten. Es brauche eine jugendgerechte Kommunikationsatmosphäre ohne die Gefahr der Bloßstellung und Stigmatisierung. Außerdem befürchte die Strafkammer eine massive medial-öffentliche Vorverurteilung der ausländischen Angeklagten.

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Überfall wegen einer Streitigkeit

Den Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge soll es vor dem Überfall eine Streitigkeit zwischen einem der Angeklagten und einem der vier Männer in der Wohnung gegeben haben. Kurz nach Mitternacht hätten die sieben Hauptangeklagten mit einem weiteren gesondert Verfolgten den Mann aufgefordert, aus der Wohnung zu kommen. Als er sich geweigert habe, hätten sie die Wohnungstür aufgebrochen. Einer von ihnen habe mit einer Machete eine gläserne Zwischentür eingeschlagen, hieß es. 

Die vier in der Wohnung Anwesenden - nach damaligen Polizeiangaben der 15-Jährige und drei Männer im Alter zwischen 17 und 21 Jahren - seien auf einen Balkon geflüchtet. Dort schlugen die Angreifer einem der Überfallenen laut Anklage mit der Faust ins Gesicht und schüchterten ihn mit einem Baseballschläger ein. Einen anderen hätten sie mit einem Messer bedroht. 

Sieben Angeklagte in Haft

Unterdessen sei es einem dritten Anwesenden gelungen, über die Balkonbrüstung auf den darunter liegenden Balkon zu klettern und sich in Sicherheit zu bringen. Der 15-Jährige habe es ihm gleichtun wollen, dabei jedoch den Halt verloren.

Die Angreifer seien mit 1.000 Euro Bargeld, zwei Handys und weiteren Gegenständen aus der Wohnung geflüchtet. Die drei wegen Beihilfe Angeklagten sollen während der Tat vor dem Hochhaus Schmiere gestanden haben. Noch in der Tatnacht sowie einige Tage später hatte die Polizei in Hamburg und Bordesholm (Kreis Rendsburg-Eckernförde) mehrere Verdächtige festgenommen. Sieben Angeklagte befinden sich in Haft, drei auf freiem Fuß. 

Nebenklage bietet bei Geständnis Vergebung an

In einem Eröffnungsstatement sagt Nebenklagevertreter Patrick Purbacher: "Der 14. April 2025 war der schlimmste Tag im Leben meiner Mandanten." Damals hätten sie erfahren, dass sie ihren Sohn nie wiedersehen würden. Der Überfall auf die Wohnung, in der sich auch der 15-Jährige aufhielt, sei eine vollkommen überflüssige und grundlose Aktion gewesen. 

Jeder der Angeklagten habe einen Tatbeitrag geleistet, große Schuld auf sich geladen und werde die Konsequenzen tragen müssen, erklärt Purbacher. Er fügt hinzu: "Die Nebenklage wird die Möglichkeit der Vergebung geben." Aber nur für diejenigen, die erzählten, was bei der Tat wirklich passiert sei. Jeder, der nicht gestehe, könne nur auf Vergebung durch Gott hoffen, aber nicht durch seine Mandanten.

Nachdem die Verteidiger den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt haben, legt Purbacher in einer Stellungnahme nach. Er fragt, wovor die Angeklagten Angst hätten. Sie sollten sich mal vorstellen, welche Angst der Sohn seiner Mandanten kurz vor seinem Tod gehabt habe. Er sei strikt gegen den Ausschluss der Öffentlichkeit. Im Übrigen hätten fünf der zehn Angeklagte am 1. Januar Geburtstag, das sei für die Nebenklage nicht glaubwürdig. Das Alter müsse geprüft werden.

Angeklagte dürfen nicht untereinander sprechen

Zuvor hatte die Richterin bei der Feststellung der Personalien Mühe, die Namen und Daten der Angeklagten zu ordnen. Einer von ihnen gab an, er sei ein Jahr später geboren, als in den Akten stehe. Schönfelder ermahnt die Angeklagten, im Gericht nicht untereinander zu sprechen, auch nicht mit den Zuschauern. Die drei Beschuldigten in Freiheit sollten immer pünktlich erscheinen, sonst könne auch gegen sie ein Haftbefehl erlassen werden. 

Während die Kammer über den Ausschluss der Öffentlichkeit berät, stellt sich der Vater des 15-Jährigen erneut den Medienvertretern auf dem Gerichtsflur. Über eine Dolmetscherin sagt der Iraker, dass er am Morgen nach der Tat auf der Arbeit von seinem Chef gerufen worden sei, weil die Polizei ihn sprechen wollte. Er habe gedacht, es gehe um einen Arbeitsunfall. "Als er vor Ort war, haben die ihm leider gesagt, dass sein Sohn gestorben ist", sagt er nach den Worten die Übersetzerin. Die ganz in Schwarz gekleidete Mutter des Jungen steht derweil etwas abseits, ihr Gesicht von einer Corona-Maske verborgen. Die Familie lebt nach Angaben ihres Anwalts seit zehn Jahren in Deutschland.

Das Gericht hat 32 weitere Verhandlungstage bis zum 25. März angesetzt. Zu den Plädoyers und dem Urteil sollen Zuschauer wieder zugelassen sein.

dpa