Besseres Plastikrecycling Das Leben eines Tennisballs ist hart, selbst nach seinem Tod

Dieses Granulat besteht aus tausenden Tennisbällen
Ich war mal viele Tennisbälle und kehre wieder auf den Platz zurück - als Bodenbelag.
© Henry Lübberstedt / Stern.de
Plastikmüll schwimmt in den Meeren, wird an Strände angespült oder verbrannt. Recycling? Schwierig. Wir haben einen Ort besucht, an dem geschlossene Kunststoff-Kreisläufe funktionieren. Von Paletten, Mülltonen und tausenden Tennisbällen.

"Alles beginnt mit einem Haufen", erklärt Christoph Brüning. Er ist ein handfester Typ, in einem handfesten Gewerbe: Plastikrecycling. Bei Brüning sind es riesige Haufen aus großen Teilen. Seine Firma Omnicycle ist auf einen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum beachteten Plastikmüll spezialisiert, Plastik aus der Industrie. Von den gut sechs Millionen Tonnen Plastikmüll in Deutschland stammen rund eine Million Tonnen aus dieser Branche und ein Teil davon häuft sich auf Brünings Hof.

Die Sonne brennt an diesem wolkenlosen Augustnachmittag auf das Betriebsgelände in Vreden im beschaulichen Münsterland, keine 500 Meter von der holländischen Grenze entfernt. Christoph Brüning öffnet das blickdichte Automatiktor. Gleich dahinter ist eine Waage für Lkw in den Boden eingelassen, links steht eine große Halle mit lärmenden Maschinen. Förderbänder transportieren Undefinierbares mehrere Meter hoch zu Mahlwerken und von dort aus in große Behälter. Gabelstapler surren umher. Die freie Fläche dahinter erinnert eher an einen Schrottplatz als an einen Plastikrecycler. Eine mehrere Meter lange mannshohe Röhre mit einer Wandstärke von 15 Zentimetern, hunderte Gummimatten aus dem Motorraum von Fahrzeugen, zehn Meter hohe Türme aus verranzten Plastikpaletten.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Plastikmüll Was aussieht wie ein Stapel Tischdecken, sollten einmal Folien werden. 
Kunstvoller Industrieabfall: Das sollten einmal Folien werden. 
© Henry Lübberstedt / stern.de

Wir gehen an etwas vorbei, das als Installation auf einer Kunstmesse nicht weiter auffiele. Wie lose gefaltete Tischdecken wirken die hellgrauen Kunststoffblöcke. "Die kommen aus der Folienproduktion. "Die ersten Meter einer neuen Folie sind immer Ausschuss, der sich von der Walze direkt in einer Wanne zusammenfaltet", erläutert der gemütlich untersetzte Chef. Gutes Material, sortenreiner gehe es nicht. Dazwischen haufenweise nachgiebiges, wie Gummi wirkendes Plastik in Eimerform. "Das sind die Reste aus der Produktion von Leichtlaufgummirädern. Bei der Produktion wird der erste Schwung der Masse in Eimern aufgefangen." Für ihn Alltag, doch ich ertappe mich bei dem Gedanken, wie hoch so ein Gummiteil vom Hallendach geworfen wohl springen würde.

Eine Halle weiter sieht es aus wie im Materiallager vom Ikea-Bällebad. Tausende ausrangierte Tennisbälle in großen Metallkörben und Kartons. Viele Tennisvereine hätten eine eigene "Recyclingkiste" für ausrangierte Tennisbälle, ein Teil davon landet hier. Brüning zeigt einen Beutel mit einem Granulat aus neonfarbenen Teilchen: "Und das wird daraus. Wir schreddern die Bälle, holen das meiste vom Filz raus. Aus dem Granulat wird dann der federnde Bodenbelag für die Tennishalle gefertigt." Das Leben eines Tennisballs ist hart, selbst nach seinem Tod.

Plastikmüll  Diese Gummimatten dienten einst als Dämmung des Motorraums von Autos
Kein Schrott, sondern Wertstoffe. Die Gummimatten dienten einst als Dämmung des Motorraums von Autos.
© Henry Lübberstedt / stern.de

"Das Rohr bitte nicht fotografieren, der Hersteller hat ein besonders Fertigungsverfahren, das sollte nicht zu sehen sein", stoppt Brüning die Aufnahme. Die Gummimatten? "Klar, solange der Hersteller nicht zu erkennen ist." Und dieser unansehnlich große Haufen aus meterlangen grauen Würsten? Gern, aber bitte nicht die Maschine, die sie hergestellt hat. Betriebsgeheimnis!

Plastikmüll: Großes Thema, großes Schweigen

Plastikrecycling ist als Thema omnipräsent, doch frei darüber reden möchten nur wenige Hersteller. So wie ein führender auf Plastiktüten spezialisierter Anbieter aus Hamburg. Man wolle mit der Presse lieber nicht über Nachhaltigkeit, biologisch abbaubares Plastik und geschlossene Recyclingkreisläufe von Müllbeuteln reden, hieß es auf Anfrage. Obwohl er an der Entwicklung solcher Produkte arbeitet. Ähnlich fielen auch die Antworten anderer Hersteller aus. Wer seine Ware in Plastik verpackt auf den Markt bringt, wittert stets die Gefahr eines medialen Shitstorms, sobald er sich jenseits von rechtlich abgesicherter Marketingsprache in die Öffentlichkeit wagt.

Plastik ist ein heikles Thema. Aber warum bei Christoph Brüning? Schließlich steht er am anderen Ende der Wertschöpfungskette, sozusagen auf der guten Seite. Sein Unternehmen sorgt dafür, dass Plastik nicht in die Natur, sondern wieder in neue Produkte gelangt. "Wir haben uns auf das Zerkleinern und Säubern von besonders sperrigen, zähen und harten Kunststoffabfällen spezialisiert", sagt er.

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Betriebsgeheimnis!

Die Maschinen für die Zerkleinerung gibt es "von der Stange", sie werden jedoch vom Hersteller immer an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst. Das Betriebsgeheimnis beginnt bei der Separation. Für Brünings Anforderungen gebe es die benötigten Maschinen oft nicht. "Vieles, was hier steht, haben wir selbst in unserer Schlosserei angefertigt", erzählt der gelernte Maschinenbauer mit gewissem Stolz. In der eigenen Entwicklungsabteilung? Brüning lacht herzlich. "Nee, da brütet der Chef am Samstag nach Feierabend drüber". Er hocke über den Datenblättern des zu recycelten Materials, schaue sich die Eigenschaften der einzelnen Inhaltsstoffe an und überlege sich dann eine Maschine, die das alles voneinander trennt.  

Ein Haufen von langen Würsten aus grauem Plastik
Hinter diesen unansehnlichen endlos Würsten steckt ein Betriebsgeheimnis 
© Henry Lübberstedt / stern.de

Dabei kommen dann auch Anlagen heraus, die es so auf dem Markt nicht gebe. Da ließe man sich selbstredend ungern in die Karten schauen. Wie etwa beim Recyclen von Po­ly­ure­than-Gießelastomeren, die in der Industrie als Förderbandrollen oder in sogenannten Verschleißkanten verwendet werden. Dieses Plastik ist enorm belastbar, es kann Schwingungen abfedern und kehrt nach der Belastung wieder in seine Ursprungsform zurück. Leider widersetzt es sich ebenso hartnäckig seiner Aufbereitung. Es lässt sich nicht unter Hitze schmelzen und neu formen: "Drei Jahren haben wir daran herumgedoktert, wie wir daraus etwas machen können, das sich zur Herstellung neuer Produkte eignet. Das ist das Ergebnis", Brüning knallt eine platte graue Wurst auf den Tisch.  Wie es genau funktioniert, würde er lieber nicht in der Presse lesen wollen.

Am Ende allen Schredderns, Säuberns und Mahlens steht das Endprodukt, das Rezyklat. In etwa zwei Meter hohen Säcken wartet dieses reine Mahlgut, wie der Experte sagt, dann auf Käufer. Abnehmer sind Hersteller von Plastikprodukten, die daraus neue Ware herstellen. Rohre, Regenrinnen, Stoßstangen, Blumentöpfe, Eco-Bobbycars oder die beliebten Gartenmöbel in Rattan Optik. Fast alles ist möglich. "Das Rezyklat wird dabei entweder neuem Plastik beigemengt oder es wird mit Additiven versehen, um ihm neue Eigenschaften zu verleihen, es zum Beispiel härter oder flexibler zu machen", erklärt der Omnicycle-Chef.

Alles Paletti: Bei Paletten ist der Kreislauf kurz

Plastikpaletten der Industrie werden nach ihrem Lebensende als neue Paletten wiedergeboren. Christoph Brüning zeigt auf die aufgebrochenen Füße der Palette, die Styropor enthalten, das herausgefiltert werden muss.  
Plastikpaletten der Industrie werden nach ihrem Lebensende als neue Paletten wiedergeboren. Christoph Brüning zeigt auf die aufgebrochenen Füße der Palette, die Styropor enthalten, das herausgefiltert werden muss.  
© Henry Lübberstedt / stern.de

Den kürzeste Recyclingkreislauf? Brüning blickt zu den Palettentürmen. Die Kunststoffpaletten werden von einem Hersteller angefertigt und an ein Poolsystem verkauft, aus diesem Pool leasen dann zum Beispiel Supermärkte oder Logistikunternehmen ihre Paletten. "Sind die Paletten beschädigt, gehen sie zurück an den Pool und von dort aus zu uns. Wir zerkleinern die Paletten und trennen die unterschiedlichen Kunststoffsorten voneinander. Er zeigt auf eine der gestapelten Paletten, deren Ecke abgebrochen ist und den Blick auf die Styroporfüllung freigibt. "Das Zeug muss da raus und das hellgraue hier auch", mit kräftigen Händen puhlt er am Plastik herum. Dunkelgrau und Hellgrau ergäbe später eben nicht den vom Kunden gewünschten dunkelgrauen Farbton. 

Am Ende steht das Rezyklat

"Das Mahlgut wird in große Transportsäcke verpackt und geht an den Hersteller, der daraus neue Paletten herstellt", beschreibt er den Vorgang.  Ähnlich kurz seien aber auch die Wege bei Fehlproduktionen in der Herstellung von Autoteilen. Defekte Stoßfänger, Radläufe, Gummimatten würden zerkleinert, gemahlen und anschließend gleich wieder zu dem, was sie einmal waren – allerdings nun ohne Makel.

Ein Mann steht vor einem zwei Meter hohen Sack mit Rezyklat
Abgefüllt und frisch verpackt: In diesen Säcken wird das Rezyklat verkauft.
© Henry Lübberstedt / stern.de

Wenn Gleiches zu Gleichem wird, ist Kunststoff eine problemlose Sache. Ähnlich den Paletten sei auch das Recycling von Plastikflaschen leicht möglich. Bottle-to-Bottle heißt der Kreislauf im Fachjargon. Durch das Pfandsystem gelangen die meisten PET-Flaschen gar nicht erst in den gelben Sack, sondern sortenrein zu den Recyclern, die dann mit zertifizierten Verfahren daraus wieder neue Flaschen herstellen.

Wäre es da nicht besser, nur noch eine begrenzte Zahl an Plastikvarianten zu erlauben, wenn die Vielfalt das Recycling erschwert? "Ich halte wenig davon, nur noch bestimmte Kunststoffe zuzulassen oder die Hersteller zum Einsatz von Recycelten zu zwingen. Stattdessen sollten die Firmen an Kunststoff verwenden, was sie wollen, aber für den Einsatz von nicht recycelten Kunststoffen müssten sie eine Steuer entrichten."

Die EU-Plastiksteuer läuft ins Leere

Das Absurde daran sei, schiebt Brüning nach, diese Steuer gebe es seit 2021 als EU-Plastiksteuer. Sie beläuft sich auf 800 Euro pro Tonne Kunststoff, wenn er nicht aus Rezyklaten hergestellt wurde. Doch in keinem EU-Land sei das in nationales Recht überführt worden. Jedes Land zahle diese Steuer an die EU aus den nationalen Haushalten. Die Hersteller selbst bleibe schadlos. Damit sei jede Lenkungsfunktion dahin, so Brüning.  Er vermutet dahinter politische Lobbyarbeit der großen Industrieverbände. Bei Vorschriften und Gesetzen gebe es für ihn zu viele Unternehmensinteressen in der Politik.

Brüning zeigt auf die langen Reihen verkaufsfertiger Rezyklatsäcke, zwischen denen Mitarbeiter und Gabelstapler wie in einem Labyrinth verschwinden. Die Nachfrage sei schleppend, darunter leide derzeit die gesamte Branche. Zum einen, weil die Industrie aufgrund sinkender Nachfrage weniger produziert zum anderen, weil neues Plastik immer noch deutlich günstiger ist als Rezyklate.

Ungeachtet des Plastikmülls Problems verarbeiten die Hersteller weiter neue Kunststoffe, anstatt auf recyceltes Material zurückzugreifen, schlicht weil es billiger ist. "Unternehmen lassen sich nur zum Umdenken bewegen, wenn ein bestimmtes Verhalten Geld kostet, so einfach ist das", ist der Omnicycle-Chef überzeugt. Wo immer er kann, kämpft er für die Umsetzung der Steuer. Konsequent umgesetzt könnte sie die Branche der Kunststoffrecycler schlagartig aus der Krise holen.

Branchenverband der Recycler wettert gegen die Industrie

Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Dirk Textor, der Chef des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Kunststoffrecycling, wetterte kürzlich auf einer Fachmesse gegen die "Verweigerungshaltung" der kunststoffverarbeitenden Industrie, die klimafreundlichen Rezyklate ignoriere und aus kurzfristigem Gewinndenken immer weiter neues Plastik verwende.

Für Christoph Brüning liegt die Zukunft der Wiederverwertung aber nicht allein in der Preisfrage, sondern dort, wo über ein Produkt oder eine Verpackung das erste Mal nachgedacht wird: "Der Anfang aller unserer Recyclingproblematiken beginnt beim Design. Ich habe noch nicht davon gehört, dass bei der Entwicklung von Produkten Recyclingexperten hinzugezogen werden".  

Die Zukunft liegt im nachhaltigen Design

"Design vor Recycling” sei falsch herum gedacht. Man wäre bei der Müllvermeidung einen gehörigen Schritt weiter, wenn bei jedem Produkt darauf geachtet werde, die Vielfalt der Werkstoffe in einem Werkstück zu reduzieren. "Doch das passiert nicht, die Hersteller wissen wenig vom Kunststoffrecycling. "Da wird an alles Mögliche gedacht, nur nicht daran, was mit dem Produkt am Ende seiner Lebenszeit passieren soll", sagt Christoph Brüning resigniert.

Daher freue er sich auf seinen Gastvortrag an der Kölner Akademie für Ökodesign "Ecosgin”. Es ist die einzige Akademie Deutschlands, die sich auf diese Fachrichtung  spezialisiert hat. Ökodesigner entwickeln Produkte unter nachhaltigen Kriterien wie Langlebigkeit, geringer Ressourcenbedarf und leichte Wiederverwertung der verbauten Rohstoffe. Genau die Welt von Christoph Brüning.