Vermisstenfall Maddie McCann Viele halten Christian B. für "Maddies" Mörder. Vielleicht wird er trotzdem niemals angeklagt

Seit vier Jahren gilt ein Deutscher als Hauptverdächtiger im Fall "Maddie". Nun könnte er in einem Prozess in Braunschweig freigesprochen werden – mit weitreichenden Folgen. 
Collage aus dem Vermisstenbild von Maddie McCain und der Silhouette des Verdächtigen
Christian B. ist wegen fünf Sexualstraftaten angeklagt – aber bis heute nicht wegen "Maddie". Kürzlich wurde der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben
© Stern-Montage: SIPA Press; Julian Stratenschulte / AFP

Am vergangenen Freitag steht der Strafverteidiger Friedrich Fülscher wieder einmal im Braunschweiger Landgericht vor einer Kamera. Das Fernsehteam hat sich vor dem größten Saal des Gerichts aufgebaut, wo soeben ein weiterer Verhandlungstag in einem Verfahren zu Ende gegangen ist, das Journalisten aus aller Welt in die niedersächsische Provinz zieht: Der 47-jährige Deutsche Christian B. ist angeklagt wegen dreier Vergewaltigungen und zweier sexueller Handlungen vor Kindern. Sein Verteidiger ist in Hochstimmung.

Seit fast fünf Monaten sitzt Christian B. auf der Anklagebank, ein hagerer Mann mit grauem Gesicht und dünnen Haaren, immer im selben zerknitterten Sakko. Meist beobachtet er regungslos, wie Zeugen aussagen über Taten, die er abstreitet. Wie nach einer Wahrheit gesucht wird, die nur er in Gänze kennt. Gesprochen hat er nicht.

Christian B. schien der perfekte Verdächtige zu sein

Dass sein Verteidiger interviewt wird, dass im größten Saal verhandelt wird, dass dieser Prozess international verfolgt wird – das hat nur bedingt mit den angeklagten Taten zu tun. Es liegt an einem Verdacht, der gar nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist: Christian B. gilt als Hauptverdächtiger im Vermisstenfall Madeleine "Maddie" McCann.

Suchanzeige von Maddie McCann aus 2007
Im Jahr 2007 verschwand die dreijährige Madeleine McCann aus einem Ferienapartment in Portugal
© SIPA Press

Die dreijährige Britin verschwand in einer Sommernacht des Jahres 2007 spurlos aus einem Ferienapartment an der Algarve in Portugal. Der Fall ging um die Welt, auch wegen der Öffentlichkeitsarbeit der Eltern. Bücher wurden darüber geschrieben, Netflix-Dokumentationen gedreht. Jahr um Jahr verstrich ohne heiße Spur – bis im Sommer des Jahres 2020 öffentlich wurde, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig Christian B. verdächtigt, der Mörder von Madeleine McCann zu sein.

Damals kam Hoffnung auf, dass endlich geklärt würde, was mit dem blonden Mädchen geschah. Christian B. schien der perfekte Verdächtige zu sein: Madeleine verschwand unweit seines ehemaligen Wohnorts, er lebte in Portugal ein zwielichtiges Leben. Halb Aussteiger, halb Einbrecher.

Ihm werden weitere Vergehen zur Last gelegt

Vier Jahre später gibt es noch immer keine Anklage, dafür steht Christian B. nun wegen anderer Taten vor Gericht. Es sind zwei verschiedene Ermittlungen, die dennoch zusammenhängen. Der aktuelle Prozess könnte mit darüber entscheiden, ob Christian B. doch noch im Fall "Maddie" angeklagt wird. Am Freitag sieht es nicht danach aus.

Erschienen in stern 29/2024