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Christian B., vorbestrafter Sexualstraftäter und Hauptverdächtiger im Fall "Maddie", wurde im Oktober 2024 in einem anderen Verfahren freigesprochen – er war in Braunschweig angeklagt wegen drei Vergewaltigungen und zwei sexuellen Handlungen vor Kindern. Verteidigt wurde er von einem Anwaltsteam um den Kieler Strafverteidiger Friedrich Fülscher, der bereits zu Prozessbeginn im Februar einen Freispruch voraussagte. Damals erschien im stern das folgende Porträt von Fülscher. Am Ende des Prozesses ist klar: Nachzuweisen waren Christian B. diese Taten nicht. Ein psychiatrischer Gutachter verortete ihn vor Gericht jedoch in der "Topliga der Gefährlichkeit". Nun berichtet eine Zeitung über Indizien im Fall Maddie, die der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt waren. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir das Porträt erneut.
Vier Wochen vor der vielleicht wichtigsten Gerichtsverhandlung seiner bisherigen Karriere, an einem Freitagvormittag Mitte Januar, rast der Strafverteidiger Friedrich Fülscher in einem militärgrünen VW-Bus mit 60 Stundenkilometern über einen mecklenburgischen Waldweg, als er eine E-Mail erhält. Hinten hecheln vier Jagdhunde in ihren Boxen, draußen stehen Kiefern im Schnee. Der Bus ist kaum gefedert: jede Kuhle ein Schlag, jede Wurzel ein Krachen. Fülscher gibt weiter Gas, und obwohl er sich am Lenkrad festkrallen muss, liest er irgendwie die Mail auf seinem Smartphone.
"Ich glaub das nicht!", ruft Fülscher durch den Lärm. "Jetzt drehen die völlig durch." Sekunden später hat er einen Anwaltskollegen am Telefon. "Anklage wegen Beleidigung – wenn schon 'lebenslänglich' und Sicherungsverwahrung drohen?" Großes Gelächter. "Paragraf 154!"
Fülscher, 39, spricht über Christian B. Der 47-jährige Deutsche ist der Hauptverdächtige im Fall "Maddie", dem wohl bekanntesten Kriminalfall unserer Zeit – und Fülscher ist sein Verteidiger, weshalb schon das australische Fernsehen nach Kiel reiste, um ihn zu sprechen. Derzeit sitzt Christian B. in Haft wegen einer Vergewaltigung, nun soll er Wärter als "Folterer" beleidigt haben.
Paragraf 154 der Strafprozessordnung regelt, dass geringfügige Taten nicht verfolgt werden müssen, wenn wegen anderer Taten eine hohe Strafe droht, und Fülscher kennt sich aus mit der Strafprozessordnung. Davon scheint er selbst am meisten überzeugt. Vor einiger Zeit, erzählt er, habe er einer Staatsanwältin gesagt, dass sie doch jetzt mal die Klappe halten möge, weil nur juristischer Unfug herauskomme, sobald sie den Mund aufmache, "absolute Gülle". Dumme Menschen, sagt er, halte er nicht aus.

Fülscher verteidigt einen Mann, der bei vielen Abscheu erregt. Christian B. ist ein mehrfach vorbestrafter Sexualstraftäter, verurteilt wegen Vergewaltigung und Kindesmissbrauchs. Vor dreieinhalb Jahren wurde bekannt, dass ihn die Staatsanwaltschaft Braunschweig verdächtigt, Madeleine "Maddie" McCann ermordet zu haben, das knapp vierjährige britische Mädchen, das im Jahr 2007 spurlos aus einem Ferienapartment im portugiesischen Praia da Luz verschwand. Medien aus der ganzen Welt berichteten über den Fall, Bücher wurden darüber geschrieben und Netflix-Dokumentationen gedreht. Bis heute ist ungeklärt, was damals geschah.
Der perfekte Täter im Fall Maddie, so scheint es
Laut den Braunschweiger Ermittlern hielt sich Christian B., der die Vorwürfe bestreitet, kurz vor Madeleines Verschwinden nahe der Hotelanlage auf, zudem soll er sich gegenüber einem Bekannten verdächtig geäußert haben. Der perfekte Täter, so scheint es.

Seit dreieinhalb Jahren aber hat die Staatsanwaltschaft keine Anklage erhoben, also keine Beweise präsentiert. Fülscher spricht von einer "massiven Vorverurteilungskampagne". Christian B. sitze in Isolationshaft, seit der Verdacht publik wurde, zu seinem eigenen Schutz. "Der ist fertig."
Vielleicht kommt es noch zu einer Anklage wegen Madeleine, vielleicht nicht. Zunächst muss sich Christian B. wegen anderer Vorwürfe verantworten: Vergangenen Freitag begann am Landgericht Braunschweig ein Prozess gegen ihn wegen mehrerer mutmaßlicher Sexualstraftaten, wieder geht es um Vergewaltigungen und Kindesmissbrauch. Es ist das erste Mal, dass er vor einer Öffentlichkeit auftritt, in der er längst als Mörder gilt. An seiner Seite: Friedrich Fülscher.
Ein Strafrechtsprofessor, mit dem Fülscher auch im Fall von Christian B. zusammenarbeitet, sagt über ihn: Er wolle einer der größten Strafverteidiger des Landes werden. Große Strafverteidiger brauchen große Bühnen. Dieses Mandat, sagt Fülscher selbst, sei für ihn "einmalig".
Das ist eine Seite von Friedrich Fülscher.