Schon vor Wochen warnten Krankenhaus-Ärzte im stern: Wirtschaftliche Zwänge gefährden ihre Patienten. Trotz alledem leisten Pioniere der Erneuerung täglich Großartiges.
In einem unscheinbaren Flachdachbau liegt eine der wichtigsten Abteilungen des Münsteraner St. Franziskus-Hospitals: das Kompetenzzentrum für Mikrobiologie und Hygiene. Chef Wolfgang Treder und sein Team nehmen täglich den Kampf gegen Bakterien, Viren und Pilze auf.
"Bei Bakterien und Viren geht es immer um Zeit"
Pro Tag kommen im Labor rund 1000 Proben von Patienten an – etwa Blut, Urin und Abstriche. In der Abteilung arbeiten fünf Ärzte, 15 medizinisch-technische Assistentinnen und vier Hygienefachkräfte. Solch ein Labor im Haus, spezialisierte Mediziner, die mit auf Visite gehen – das ist in der Krankenhauslandschaft etwas Besonderes.
Krankenhäuser sollen für das Dasein vorsorgen genauso wie die Polizei oder Feuerwehr. Der Staat muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das Menschenrecht auf Gesundheitsfürsorge gewährleistet ist. Es darf nicht länger passieren, dass Krankenhäuser Gewinne für nötige Anschaffungen ausgeben und dafür am Personal sparen – weil der Staat ihnen seit Jahren Finanzmittel vorenthält, um unrentable Einrichtungen "auszuhungern". Es ist fahrlässig, Krankenhäuser und damit das Schicksal von Patientinnen und Patienten den Gesetzen des freien Marktes zu überlassen. Niemand würde fordern, dass die Polizei oder Feuerwehr schwarze Nullen oder Profite erwirtschaften müssen. Warum also Krankenhäuser?
Die Führung eines Krankenhauses gehört in die Hände von Menschen, die das Patientenwohl als wichtigstes Ziel betrachten. Deshalb dürfen Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften keine Entscheidungsträger vorgesetzt sein, die vor allem die Erlöse, nicht aber die Patientinnen und Patienten im Blick haben. Aber auch manche Ärztinnen und Ärzte selbst ordnen sich zu bereitwillig ökonomischen und hierarchischen Zwängen unter. Wir rufen diese auf, sich nicht länger erpressen oder korrumpieren zu lassen.
Das Fallpauschalensystem, nach dem Diagnose und Therapie von Krankheiten bezahlt werden, bietet viele Anreize, um mit überflüssigem Aktionismus Rendite zum Schaden von Patientinnen und Patienten zu erwirtschaften. Es belohnt alle Eingriffe, bei denen viel Technik über berechenbar kurze Zeiträume zum Einsatz kommt – Herzkatheter-Untersuchungen, Rückenoperationen, invasive Beatmungen auf Intensivstationen und vieles mehr. Es bestraft den sparsamen Einsatz von invasiven Maßnahmen. Es bestraft Ärztinnen und Ärzte, die abwarten, beobachten und nachdenken, bevor sie handeln. Es bestraft auch Krankenhäuser. Je fleißiger sie am Patienten sparen, desto stärker sinkt die künftige Fallpauschale für vergleichbare Fälle. Ein Teufelskreis. So kann gute Medizin nicht funktionieren.
Der Arbeitstag im Zeitalter der Fallpauschalen und der Durchökonomisierung der Medizin ist bis zur letzten Minute durchgetaktet. Nicht einberechnet ist der auf das Mehrfache angestiegene Zeitaufwand für Verwaltungsarbeiten. Nicht einberechnet ist die Zeit für die Weiterbildung junger Ärztinnen und Ärzte und für die immer wichtigeren Teambesprechungen. Vor allem nicht einberechnet sind Patientinnen und Patienten, die viele Fragen haben oder Angst vor Schmerzen, Siechtum und dem Tod. Wenn aber mit den Kranken nie ausführlich gesprochen wird, können Ärztinnen und Ärzte nicht erfassen, woran sie wirklich leiden. Wenn diese Patientinnen und Patienten entlassen werden, verstehen sie weder ihre Krankheit, noch wissen sie, wofür die Therapie gut ist. Das Diktat der Ökonomie hat zu einer Enthumanisierung der Medizin an unseren Krankenhäusern wesentlich beigetragen.
Unsere Forderungen:
1. Das Fallpauschalensystem muss ersetzt oder zumindest grundlegend reformiert werden.
2. Die ökonomisch gesteuerte gefährliche Übertherapie sowie Unterversorgung von Patienten müssen gestoppt werden. Dabei bekennen wir uns zur Notwendigkeit wirtschaftlichen Handelns.
3. Der Staat muss Krankenhäuser dort planen und gut ausstatten, wo sie wirklich nötig sind. Das erfordert einen Masterplan und den Mut, mancherorts zwei oder drei Kliniken zu größeren, leistungsfähigeren und personell besser ausgestatteten Zentren zusammenzuführen.
Sehr viele Klinikkonzerne setzen aus Kostengründen auf externe Labore als Dienstleister. "Das bedeutet allerdings: weitere Wege und Zeitverlust. Aber bei Bakterien und Viren geht es immer um Zeit. Sonst kann es sein, dass die Infektion den Patienten überrollt", sagt Treder.
"Geschwindigkeit kann Leben retten." Dass sich die Einrichtung so eine Abteilung für die über 4000 Betten leistet, ist für Treder "ein klares Bekenntnis". Der Mensch gehe vor. "Unser Labor ist in einer guten Situation", sagt er, "wir müssen nicht Gewinne um jeden Preis machen. Unser christlicher Träger meint: plus/minus null reicht. Das Ziel ist zuallererst das Wohl des Patienten und nicht die maximale Rendite." Dienst am Patienten statt Kostendruck, Effizienzsteigerung und Verschlankung. Die Ausstattung, Schnelligkeit und Teamarbeit machen die Abteilung zum Vorzeigeprojekt. Sie wurde 2018 mit dem Preis des Aktionsbündnisses für Patientensicherheit ausgezeichnet.