Interview Das Talent zum Glücklichsein

"In unseren besten Jahren fällt uns die Heiterkeit am schwersten", sagt der Soziologe Ruut Veenhoven im Interview mit dem Stern. Seit Jahren erforscht er das Glück und weiß so Interessantes zum Thema zu sagen.

Herr Professor Veenhoven, Sie forschen seit vielen Jahren dem Glück nach. Sind Sie dabei glücklich geworden?

Ja, ich liebe meine Arbeit. Ich denke aber, so geht das den meisten Forschern. Selbst dann, wenn sie sich mit eher unerfreulichen Themen wie Depression oder Selbstmord befassen.

Was also ist Glück?

Glück ist für mich die Freude am eigenen Leben. Und zwar auf lange Sicht. Je lieber jemand so lebt, wie er lebt, desto glücklicher ist er.

Muss man nicht auch Glück haben, um glücklich zu werden?

Sicher ist das kein Nachteil für ein glückliches Leben. Trotzdem kennen wir alle Menschen, die zeigen, dass solches Glück allein noch nicht glücklich macht - zum Beispiel gefeierte Filmstars, die trotz ihres Erfolges in Depressionen versinken. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die nach landläufiger Meinung kein Glück hatten, schwerst Behinderte etwa, die in ihrem Leben trotzdem Freude finden. Glück zu haben im Leben ist eben nur eine äußere Bedingung wie ein hohes Einkommen oder genug zu essen. Damit uns solches eher zufällige Glück aber auch glücklich macht, müssen wir es ergreifen können. Und das ist eine innere Fähigkeit, die nicht jeder hat.

Jeder ist also wirklich seines eigenen Glückes Schmied?

Jedenfalls zum Teil. Die Unterschiede zwischen eher glücklichen und eher unglücklichen Menschen, die wir heute in unseren Gesellschaften beobachten, beruhen zu einem großen Teil auf der verschieden ausgeprägten psychischen Fähigkeit, glücklich zu sein.

Und wenn Menschen in einer fürchterlichen Misere leben?

Natürlich sind äußere Lebensbedingungen vorstellbar, unter denen niemand glücklich werden kann. Aber das ist zumindest nicht die Situation unserer westlichen Wohlstandsgesellschaften. Bei uns werden die Unterschiede eher von inneren Bedingungen bestimmt.

Können Glücksforscher sagen, welche äußeren Bedingungen besonders gute Voraussetzungen für ein glückliches Leben bieten?

Wohlstand ist gar nicht mal das Wichtigste. Unsere Vergleichsstudien zeigen, dass es Menschen in Gesellschaften, in denen der Einzelne etwas zählt und mitbestimmen kann, besser geht als in kollektivistischen und autoritären Systemen.

Und abgesehen von der Politik? Sind Frauen glücklicher als Männer?

Da gibt es kaum einen messbaren Unterschied. Selbst in Nationen, wo Frauen unterdrückt werden, sind diese Unterschiede kaum nachweisbar. Was wir aber beobachten, sind unterschiedliche Entwicklungen über die Jahre: So sind junge Frauen zumeist etwas glücklicher als junge Männer. Im Alter aber wendet sich das Blatt zugunsten der älteren Männer.

Welche Rolle spielt das Alter unabhängig vom Geschlecht?

Die systematischen Unterschiede sind auch da nicht groß, aber durchaus messbar. Als jungen Erwachsenen und als alten Menschen geht es uns offenbar am besten, wie unsere Untersuchungen zeigen. Zwischen 25 und 45 aber fällt uns das Glück besonders schwer. Vermutlich liegt das an den äußeren Bedingungen, die uns dann belasten: Kinder, Kredite, Karriere.

Wenn wir der Werbung glauben, immer strahlenden Motivationstrainern und einem Wust von Glücklichmachern auf dem Büchermarkt, dann scheint Glück heute Pflicht zu sein. Dürfen wir überhaupt noch unglücklich sein?

Wer Glück vorschreibt, nimmt ihm eine wichtige Grundlage: die Freiheit. Trotzdem ist der Wunsch, glücklich zu sein, offenbar ein universaler. Einige Kulturen betonen das mehr als andere. Häufig aber nur deshalb, weil Glück in diesen Kulturen mit widrigen Lebensbedingungen schwer zu erreichen ist. Vermutlich deshalb gab es im Mittelalter eine Periode, in der das Leiden glorifiziert wurde. Heute aber haben wir kaum noch einen Grund, unseren Wunsch nach Glück zu unterdrücken. Trotzdem liegt es an uns. Wer will, muss auf Glück genauso verzichten dürfen wie auf Sex.

Interview: Frank Ochmann

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