Diese junge Frau hätte vermutlich jeder Anatomieprofessor gerne im Seminar: Sie dreht und wendet sich ohne Murren und gibt bereitwillig ihr Innerstes Preis. Buchstäblich. Denn im "anatomischen Theater" müssen die Ausstellungsbesucher nur mit ausgestrecktem Arm auf eine Leinwand zeigen, um die virtuelle Frau wie eine Zwiebel zu schälen und sich Organe, Nervensystem, Blutkreislauf und Skelett genauer anzusehen.
Das anatomische Theater ist nur eines von sechs Ausstellungsgebieten, die einen Ausblick darauf geben, wie sich die Medizin in den nächsten Jahren verändern wird. "Die Ausstellung bietet eine breit gefächerte Übersicht, weil Computer aus keinem Bereich der Medizin mehr wegzudenken sind", erzählt Veranstalter Dr. Kurt Beiersdörfer. 100 Exponate im Gesamtwert von 2,3 Millionen Euro sind auf der 1000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche verteilt – ein gutes Drittel von ihnen können die Besucher interaktiv ausprobieren. Wer glaubt, dass Computer in erster Linie zur optimalen Abrechnung der Praxisgebühr benutzt werden, wird hier eindrucksvoll eines Besseren belehrt.
Vom "gläsernen Menschen" zum "gläsernen Bürger"
Der Übergang vom "gläsernen Menschen" des Anatomietheaters zum "gläsernen Bürger" ist fließend: Ein paar Meter weiter wird die Gesundheitskarte vorgestellt, die in Deutschland demnächst die Versichertenkarte ablösen soll. Auf der Karte werden neben den Angaben zur Versicherung auch medizinische Daten gespeichert. Seit Anfang des Jahres wird sie in acht deutschen Pilotregionen getestet. Wie dies in der Praxis aussieht, erleben die Ausstellungsbesucher vor Ort: In einer nachgestellten Arztpraxis können sie sich ein Rezept auf der Chipkarte ausstellen lassen, und es in einer simulierten Apotheke nebenan gleich einlösen.
Diese Interaktivität liegt den Veranstaltern besonders am Herzen. "Das weltweit Einzigartige an der Ausstellung ist der didaktische Ansatz" erklärt Beiersdörfer, "Wer nur die Geräte sehen möchte, kann auf eine Fachmesse gehen. Bei uns kommen auch Menschen auf ihre Kosten, die sich nicht für Computer interessieren." Im Rahmenprogramm gibt es mehrere große Events, zwei Vortragsreihen und viele Seminarveranstaltungen. Ein umfangreiches Angebot, das ein breites Publikum ansprechen soll.
Medizin zum Anfassen
Das vermeintlich trockene Thema Medizin wird den Besuchern daher auch spielerisch näher gebracht: Sie können etwa im Cyberspace auf Spinnenjagd gehen (eine Behandlungsmethode für Phobiker), beim Spiel "Mindball" eine Kugel mit ihrem Pulsschlag steuern oder virtuell gegen den Marathonweltrekordler Paul Tergal auf einem Laufband antreten (weniger ehrgeizige Läufer können herausfinden, wie sie im Vergleich zu Joschka Fischer abschneiden).
"Computer.Medzin"
"Computer.Medzin" ist bis zum 1. Mai 2007 im Heinz Nixdorf MuseumsForum, Fürstenallee 7, 33102 Paderborn zu sehen. Eintritt: Erwachsene 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Weitere Informationen unter: www.computer-medizin.de
Wer selbst Hand an Patienten anlegen möchte, kann dies im "Operationssaal der Zukunft" tun. Dort dürfen sich Interessierte an delikate Vorgänge wie eine Hirnoperation durch das Nasenloch eines Patienten-Dummys wagen. Ein neuartiges Navigationssystem zeigt ihnen dabei, ob sie in der richtigen Schädelregion herumstochern oder ihren Patienten gerade einen irreparablen Hirnschaden zufügen. Die Position des Operationsgerätes wird auf einem Monitor dargestellt und leuchtet rot, wenn sich der Chirurg am falschen Teil des Gehirns zu schaffen macht – eine Technik die bereits heute in Krankenhäusern verwendet wird. "Insbesondere in der Orthopädie verbreitet sich dieses Navigationsgerät zunehmend", erklärt Kuratorin Margret Schwarte-Amedick. "Beim Einsatz von Hüftgelenken etwa können die Ärzte damit viel präziser arbeiten. Die Technik wird mittlerweile in etwa 13 Prozent der Kliniken eingesetzt."
Bypass-Operation durch ein winziges Einschnittsloch
Doch nicht jede neue Entwicklung bewährt sich in der Praxis: Der Roboterarm "Da Vinci" etwa ermöglicht eine Bypass-Operation durch ein winziges Einschnittsloch. Dies ist für die Patienten deutlich schonender als das übliche Verfahren, in dem der Brustkorb mit einer Knochensäge geöffnet werden muss. Dennoch mussten einige Krankenhäuser, die "Da Vinci" im Klinikalltag einsetzten, das Gerät wieder abschaffen. Die Investition war zu teuer, die Einarbeitungszeit der Chirurgen zu lang, der Wartungsaufwand zu hoch und der Operationsverlauf zu zeitaufwendig. "Trotzdem ist es wichtig, in die Richtung weiter zu experimentieren" findet Schwarte-Amedick. "Schließlich kommt man nur durch Forschung weiter. Und es ist faszinierend, wie schonend dieses Verfahren für die Patienten ist, die kurze Zeit nach der Operation bereits wieder aufstehen können."
Science-Fiction-Fans kommen im Bereich "Hilfen für den Körper" auf ihre Kosten. Dort können sie unter anderem mit der Muskelspannung ihres Unterarmes eine Prothese fernsteuern, die exakt wie die nackte Roboterhand Arnold Schwarzeneggers in "Terminator" aussieht. Eine derartiges Hilfsmittel kann eine amputierte Hand erstaunlich gut ersetzen: Sollte ein Objekt abrutschen, greift wie in der Natur ein eingebauter "Nachschnappreflex". So eine High-Tech-Prothese kostet den Träger allerdings geschätzte 8.000 bis 12.000 Euro. Inwiefern sich die Kassen an dieser Summe beteiligen werden, ist noch unklar. "Man darf sich in der Forschung nicht ausschließlich nach der Bezahlbarkeit richten", gibt Beiersdörfer zu bedenken. "Das Gesundheitswesen ist ein Wachstumsmarkt, den man nicht zu stark beschränken darf. Anderenfalls verliert Deutschland den internationalen Anschluss."
Die Sonderausstellung selbst muss sich über den internationalen Anschluss keine Sorgen machen: Sie wird nächstes Jahr in zwei Containern verstaut und als Wanderausstellung auf Weltreise gehen.