Gähnen ist ansteckend. Schon darüber zu lesen kann bei Ihnen gleich zu unwillkürlicher Mundmotorik führen. Erst recht gilt das in Gesellschaft. Kaum hat der Erste angefangen, legt auch schon der Nächste los. Unwillkürlich reißt man den Mund auf, so weit, dass die Gesichtsmuskeln auf die Tränendrüsen drücken. Die Augen werden feucht, die Herzfrequenz steigt, das Einatmen will gar kein Ende mehr nehmen - bis nach all dem Luftholen und Muskelstrecken endlich die große Entspannung folgt. Schon passiert?
Dr. med. Eckart von Hirschhausen
Programm und Aufrittstermine: www.hirschhausen.com
Lachen steckt auch an, ist aber längst nicht so verführerisch. Das ist ja das Schlimme: Ein langweiliger Text wirkt sofort, aber die wenigsten lassen sich durch einen lustigen Text zu lautem Lachen verleiten. Maximal verrät ein ironisches Schmunzeln um die Mundwinkel, dass sie gerade etwas von Hirschhausen lesen und nicht von Hämorrhoiden-Verödung.
Was sagt die Gähnforschung
Ist das Primat der Langeweile genetisch? Was sagt die Gähnforschung? Erstens: Gähnen hat nichts mit Sauerstoffmangel zu tun. Dabei klingt es so plausibel: Wenn die Luft dünn wird, versucht der Körper, durch tiefes Einatmen an mehr Sauerstoff zu kommen. Das wiederum verschärft den Sauerstoffmangel aller anderen im Raum, die ihrerseits schnell hinterhergähnen. Und deshalb sieht es aus wie eine Epidemie.
Alles Quatsch! Atmen Menschen im Versuch reinen Sauerstoff, gähnen sie genauso viel oder wenig wie unter schlechter, kohlendioxidreicher Luft. Laut Forschern gähnen wir, wenn wir wach bleiben müssen, aber die Umgebung gerade keine große Abwechslung bietet.
Zweitens: Wir sind mit dem Phänomen nicht allein. Katzen, Hunde und Fische gähnen auch. Kein Wunder, so ein Tag in einem Fischglas kann einem auch schon mal lang werden. Übrigens gähnen Menschen schon vor der Geburt ab der elften Woche - wahrscheinlich aus dem gleichen Grund wie die Fische. Und so ein Fötus kann aus seinem Wasser noch nicht mal rausschauen.
Gähnen gilt als ördinär
Kaum ist der Mensch erziehbar, muss er die Hand vor den Mund halten, denn Gähnen in Gesellschaft gilt als ordinär. Falsch! Es dürfen ruhig alle sehen, denn drittens: Gähnen ist ein Ausdruck der Gruppenzugehörigkeit! Man gähnt mit anderen viel mehr als allein. Wissenschaftler spekulieren, mit dem Gähnen konnten die Urzeitmenschen die Aktivitäten in ihrer Gruppe abstimmen. Gähnen am Morgen signalisierte: Los geht's auf die Jagd. Und am Abend: Morgen ist auch noch ein Tag!
Und, lieber Leser, heute schon gegähnt? Schlechtes Zeichen! Denn viertens: Menschen mit weniger Mitgefühl gähnen seltener. Wir beobachten uns gegenseitig sehr genau, insbesondere die Gesichtsausdrücke, damit wir Freund, Feind und Fortpflanzungspartner halbwegs sicher unterscheiden können. Unser Hirn spiegelt Gefühle unserer Nachbarn über Nachahmung, mit den sogenannten Spiegelneuronen. Gähnen signalisiert also nicht: "Du langweilst mich", sondern: "Ich fühle mit dir!" Psychopathen und Psychotikern dagegen ist es gerade nicht gegeben, sich in andere hineinzuversetzen, die haben schon mit ihrer eigenen Störung mehr als genug zu tun.
Frauen gähnen, ohne das man es ihnen anmerkt
Fünftens: Männer und Frauen gähnen gleich oft. Und jetzt verlasse ich das Terrain der Forschung für eine eigene Beobachtung. Das Fiese ist, dass Frauen gähnen können, ohne dass man es ihnen anmerkt, und es steckt trotzdem an! Ein feminines Zucken um die Mundwinkel, und der Typ fällt voll darauf herein und reißt unaufhaltsam seine Klappe auf wie ein Löwe. Wahrscheinlich testen Frauen uns Männer so heimlich auf Beziehungsfähigkeit und Mitgefühl - ein nonverbales "Willst du mit mir gähn'?".