Er geht ein wenig langsam los, dieser Roman über das Trauma einer missbrauchten Frau, für den Antje Rávik Strubel am Montag den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Adina, die Protagonisten, nimmt ihre Umgebung wahr, Detail für Detail. Metallene Lampenschirme schwanken im Wind. "Das Schlafzimmer zeigt zum Hof, wo es einen Spielplatz gibt, einen Verschlag für die Fahrräder und den Vogelbeerbaum." Doch je weiter man liest, desto klarer wird: Dies sind die minutiösen Wahrnehmungen einer Frau, die unter Schock steht. Sie hält sich fest an dem, was sie sieht, hört, riecht.

Aufwühlend sei der Roman, befand die Buchpreis-Jury: "In einer tastenden Erzählbewegung gelingt es Antje Rávik Strubel, das eigentlich Unaussprechliche einer traumatischen Erfahrung zur Sprache zu bringen." Und tatsächlich: Wie Adina über ihre Sinneseindrücke beginnt, sich allmählich auch selbst wiederzufinden, sich herantastet an das Trauma, zieht Seite für Seite mehr in den Bann. Denn so klar Antje Rávik Strubel in ihrer schnörkellosen Sprache und ihren Beschreibungen bleibt, so unübersehbar wird dadurch das Grauen, das sie damit umkreist: Adina geriet als junge Praktikantin in die Fänge eines mächtigen, triebgesteuerten Kultur-Dandys. Sie wurde sexuell missbraucht und gefoltert. "Blaue Frau" erzählt eine klassische MeToo-Geschichte. Sehr unaufgeregt, dafür kunstvoll und ernst.
Begegnungen mit einer mystischen blauen Frau
Die Rätselhaftigkeit, mit der sie schreibt – zum Beispiel wenn es um die Begegnungen einer Schriftstellerin mit einer mystischen blauen Frau geht – nimmt man gerne hin. Ebenso wie die Andeutungen oder die plötzlichen Brüche in der Erzählung, wenn vor Adinas innerem Auge Erinnerungsfetzen lebendig werden, bevor sie zurück ins Jetzt springt. Denn anders als in manch anderem ambitionierten Roman verliert man nie die Orientierung darin, dafür weiß Strubel zu genau, was sie tut. Sie erzeugt Spannung. Und die nimmt über gut 430 Seiten stetig zu, steigert sich zu der tiefen Empörung über die Machtstrukturen, die möglich machten, was Adina geschah.
Diese innere Empörung wurde auch in Strubels Dankesrede spürbar, die sie nutzte, um vor dem Hass zu warnen, der die Debatten um Sprache, zum Beispiel um Gendersternchen, oft präge. Krieg sei schon um viel weniger geführt worden, sagte sie. Doch die Frage sei, ob dabei nicht das Ende der Meinungshoheit für das Ende der Meinungsfreiheit gehalten werde.
Ein Gedanke, der unterstreicht, wie wichtig es ist, eine solche Geschichte zu erzählen. Erst recht: auf diese kluge, ruhige, überlegte Weise.